STIKO-Vorsitzender: Impfung in Deutschland derzeit nicht nötig
Trotz der jüngsten Vogelgrippe-Infektionen bei Säugetieren hält Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), vorbeugende Impfungen von Menschen derzeit nicht für notwendig. Gegenüber BR24 sagte er angesichts der Ausbrüche des H5N1-Virus in Nerzfarmen in Finnland: In dieser Situation könne es sinnvoll sein, die Mitarbeiter, die in Kontakt mit erkrankten Tieren kommen, durch eine Impfung zu schützen. In Deutschland müsse man das frühestens dann tun, wenn Infektionen bei Kühen oder Nerzen nachgewiesen werden.
Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass es weitere Hygienemaßnahmen gebe, die verhinderten, dass sich Mitarbeiter durch die Tiere infizieren – zum Beispiel Schutzkleidung und -brillen, Handschuhe und Masken. Grundsätzlich stehe das H5N1-Virus jedoch schon lange auf der Liste der Erreger mit beträchtlichem Pandemiepotential. „Je länger sich das Virus in den verschiedensten Tierarten vermehrt, desto größer ist das Risiko, dass Virusvarianten entstehen, die sich effizient von Mensch zu Mensch ausbreiten könnten“, so Überla. Deshalb sei es sinnvoll, die Ausbreitung von H5N1 insbesondere unter Nutztieren einzuschränken, wo es möglich ist.
Influenzaviren verändern sich noch effizienter als Coronaviren
Die beim Menschen beobachteten Infektionen mit der aktuell zirkulierenden H5N1-Variante, der sogenannten Klade „2.3.4.4b“, zeigten laut Überla meist milde Verläufe. Es sei aber ungewiss, welche Variante letztlich überspringe und wie gut die Impfung dann wirke. Ein wesentlicher Unterschied von Influenzaviren im Vergleich zu Coronaviren sei, dass diese sich noch effizienter verändern könnten. Insbesondere wenn ein Mensch oder ein Tier gleichzeitig mit verschiedenen Influenzaviren infiziert sei, entstünden schlagartig neue Stämme. Diese können andere Eigenschaften hinsichtlich der Übertragung oder der Schwere der Erkrankung aufweisen.
Vogelgrippevirus ist immer noch ein Vogelvirus
Die Infektionen von Kühen und auch Menschen in den USA seien allerdings kein Zeichen dafür, dass die Vogelgrippe für Menschen gerade gefährlicher werde, sagt Christa Kühn. Sie ist Tiermedizinerin und Präsidentin des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Ostseeinsel Riems, das auf die Erforschung von Tierseuchen spezialisiert ist. Bei dem Virus, das in den USA zirkuliere, sehe es so aus, als ob bereits ein paar Mutationen enthalten seien, die es etwas näher an den Menschen „heranbringen“ könnten. „Das sind aber Mutationen, die wir schon seit einiger Zeit kennen und die nicht wirklich einen neuen Sprung bedeuten“, erklärt Kühn im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Das Virus habe sich zwar in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich verändert, und zwar zuungunsten der Vögel, die massenweise verendeten. Für Menschen sei die Gefahr aber nach wie vor gering: „Das Virus hat es nicht geschafft, einen Rezeptor, den wir Menschen oder auch andere Säugetiere in uns tragen, als Andockstation zu finden. Das Virus ist immer noch ein Vogelvirus und sucht einen Vogelrezeptor.“
Virus kann sich im Euter stark vermehren
Die aktuelle Ausbreitung unter Milchkühen bedeutet also nicht, dass das Virus für Menschen allgemein eine Gefahr darstellt. Anders sieht es bei Kühen aus: Die Zellen im Euter haben Rezeptoren, an die das Vogelgrippevirus andocken und sich dort stark vermehren kann. Über kontaminiertes Melkgeschirr werden dann weitere Tiere des Bestands infiziert.
Für einen wirklichen Entwicklungssprung müsste das Virus aber auch an die Rezeptoren der Zellen anderer Säugetiere, zum Beispiel in den Atemwegen, andocken können. Außerdem müsste es auch das Immunsystem überwinden. Für beides gebe es keinerlei Hinweise, sagt Kühn. Gerade bei Menschen sei das Immunsystem gut an die Influenza-A-Viren angepasst.
H5N1 sei schon immer als „Pandemie-Kandidat“ angesehen worden, sagt Kühn. Die jüngsten Infektionen seien aber nicht die nächste Stufe auf dem Weg zu einer Pandemie. Zudem sei die Influenza A für den Menschen nichts Neues und es gebe bereits zugelassene Impfstoffe. In Europa seien bereits 600.000 Dosen bestellt, vorgesehen insbesondere für exponierte Personen. Hinzu käme die Option auf 40 Millionen weitere Dosen. In Deutschland ist eine Impfung für Menschen aber bisher nicht geplant – es gibt hierzulande keine Nerzfarmen und bisher auch keine Rinderherde, in der das Virus entdeckt wurde.