Die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom hat in München am Donnerstagabend mit einem Festakt im Alten Rathaus ihr 30-jähriges Bestehen gefeiert. Aus anfangs 90 Mitgliedern sind inzwischen knapp 650 geworden.
Wachstum der Gemeinde und Signal des Miteinanders
Gleich zu Beginn betonte der Vorsitzende der Gemeinde, Bernd Sucher, den Anspruch, jüdisches Leben offen und gemeinsam zu denken. Er rief dazu auf, Gräben zu überwinden und sagte: „Ich möchte an diesem besonderen Tag Sie alle gewinnen, gemeinsam und vereint zu streiten, nicht für ein Nebeneinander der Juden und der Nichtjuden in dieser Stadt, in Bayern und in Deutschland, sondern für ein gelebtes Miteinander.“
Die Anwesenheit von Charlotte Knobloch, Vorsitzende der orthodox geprägten Israelitischen Kultusgemeinde, wurde von vielen als wichtiges Zeichen dieses Miteinanders verstanden.
Größte liberale Gemeinde – ohne eigene Synagoge
Mit rund 650 Mitgliedern ist Beth Shalom die größte liberale jüdische Gemeinde in Deutschland. Zum Vergleich: Die orthodox ausgerichtete Israelitische Kultusgemeinde am Jakobsplatz zählt gut 9.500 Mitglieder.
Trotz der Entwicklung wartet Beth Shalom 30 Jahre nach ihrer Gründung weiterhin auf eine repräsentative Synagoge. Entwürfe des Architekten Daniel Libeskind liegen seit Jahren vor, ein Grundstück im Münchner Stadtteil Lehel wäre vorhanden. Die Finanzierung ist jedoch noch nicht geklärt, das Projekt bleibt vorerst blockiert.
Liberal-jüdisches Selbstverständnis in München
Beth Shalom gehört zur Union Progressiver Juden in Deutschland. Die Gemeinde steht für ein Judentum, das sich an den Herausforderungen der Gegenwart orientiert. Männer und Frauen sind gleichberechtigt und nehmen gemeinsam an Gottesdiensten teil.
Seit fast zwei Jahrzehnten prägt Rabbiner Tom Kučera die Gemeinde. Er stellte auf der Feier die Verbindung zur Geschichte heraus und verwies auf die Tradition des liberalen Judentums in München.
Erinnerung an die zerstörte Vorkriegstradition
Kučera knüpfte an die liberale Ausrichtung der Einheitsgemeinde vor 1933 an und erinnerte an prägende Persönlichkeiten. „Die Einheitsgemeinde vor dem Krieg war liberal ausgerichtet, auch wenn liberal damals etwas anderes bedeutet als liberal heute, aber besonders Rabbiner Leo Baerwald und der letzte Kantor der Vorkriegs-Synagoge Emanuel Kirschner, dessen Musik wir weiter pflegen in Beth Shalom, das sind unsere Verbindungen zu der Vergangenheit, und durch die Vergangenheit schauen wir auf die Zukunft.“
Die ehemalige liberale Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße war bereits im Juni 1938 auf Befehl Adolf Hitlers abgerissen worden – noch vor den Novemberpogromen. Nach der Shoah prägte vor allem die Einwanderung orthodoxer Jüdinnen und Juden aus Osteuropa das jüdische Leben in München.
Von privater Initiative zur etablierten Gemeinde
Beth Shalom ging aus einer Gruppe überwiegend amerikanischer jüdischer Familien hervor, die Anfang der 1990er-Jahre in München liberal geprägten Religionsunterricht und Gottesdienste organisierten.
Im März 1995 wurde Beth Shalom als gemeinnütziger Verein offiziell eingetragen. Drei Jahrzehnte nach der Gründung blickt die Gemeinde auf eine Zeit des Wachstums zurück – und verbindet ihre Jubiläumsfeier mit der klaren Hoffnung auf eine eigene Synagoge, die ihren Platz im Münchner Stadtbild sichtbar macht.

