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Für Schwangere gilt: Das Baby trinkt mit. Frau und Ungeborenes haben schnell gleich viel Promille im Blut – mit erheblichen Folgen: „Alkohol ist ein Zellgift, das heißt, es kann die Zellen des ungeborenen Kindes abtöten und vor allem die Organentwicklung beeinträchtigen“, erklärt Mirjam Landgraf, Kinder- und Jugendärztin am LMU Klinikum in München. Kinder können ihr Leben lang unheilbar beeinträchtigt sein.
Kein Alkohol ist das sicherste
„Es gibt keinen Biomarker, weder in der Mutter noch im Kind, der sagen könnte: ‚Wenn die Frau nur ein halbes Glas Wein im Monat trinkt, dann macht es nichts aus‘. Das wissen wir nicht.“ Deswegen die Linie: „Wenn man schwanger werden will und schwanger ist, keinen Alkohol konsumieren.“
Landgraf zufolge zeigt die häufig gestellte Frage, „wie viel darf ich denn trinken, damit es dem Kind nichts ausmacht?“, wie stark Alkohol gesellschaftlich verankert ist. „Aber die Frage ist an sich schon merkwürdig“, findet die Oberärztin, denn: „Sie fragen auch nicht, wie viel Salami oder Sushi darf ich essen, sondern da wird selbstverständlich angenommen, dass man sich als Schwangere gesund verhält.“
Die ständige Präsenz von Alkohol sprechen auch BR24-User häufig in den Kommentarspalten an. Nutzer „AtariSTianer“ plädiert für mehr Aufklärung und geht auf die Schwierigkeiten für Menschen mit einer Alkoholerkrankung ein: „(…) Und es ist für diese umso schwieriger, damit aufzuhören, wenn denen von allen Seiten, die eventuell von der Sucht nichts wissen, alkoholartige Getränke angeboten werden, oder diese überall äußerst leicht zu bekommen sind.“ Es gebe keinen Schalter, die Abhängigkeit „einfach abzuknipsen! Die Gesellschaft muss mithelfen!“
Die Kommentare erschienen zum Beitrag über Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD), eine Behinderung mit vielen Facetten. In Bayern wird von jährlich etwa 2.000 Neugeborenen mit FASD ausgegangen. Zahlen, wie viele Frauen schwanger sind und eine Alkoholerkrankung haben, liegen nicht vor.
„Suchtdruck lässt sich nicht einfach wegdrücken“
„Bei Schwangeren, die alkoholabhängig sind, steht die Krankheit, also der Suchtdruck, der Zwang, Alkohol zu konsumieren, im Vordergrund“, erklärt Tobias Schwarz vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). „Und dieser lässt sich nicht einfach wegdrücken oder durch hohe Motivation kompensieren, die möglicherweise da ist, um das Kind nicht zu schädigen.“ Alkoholabhängigkeit sei eine Krankheit, die man behandeln kann – und muss. Diese alleine zu überwinden, werde nicht klappen. „Da ist professionelle Hilfe unbedingt notwendig.“
Ein abruptes Absetzen des Alkoholkonsums kann ohne ärztliche Begleitung gefährlich sein, weshalb Experten schnellstmöglich eine stationäre Behandlung zur Entgiftung und Entwöhnung empfehlen. Doch bis dorthin kann es für die Frauen hart sein.
Innerliche Zerrissenheit – Frauen ziehen sich zurück
Viele Schwangerschaften von Frauen mit Suchterkrankungen seien ungeplant und würden oft spät erkannt, teilt die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen mit. Die Betroffenen erlebten häufig Stigmatisierung. „Viele Frauen sind sich bewusst, dass Alkohol ihrem ungeborenen Kind schaden kann und empfinden wegen ihres Konsums Scham oder Schuldgefühle. Diese Emotionen führen oft dazu, dass sie sich zurückziehen, anstatt Hilfe zu suchen.“ Die innere Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, den Konsum zu beenden, und der Unfähigkeit, dies umzusetzen, sei oft sehr belastend.
Viele Frauen fürchteten Verurteilung. Es brauche daher Verständnis und Empathie; Betroffene dürften keine Angst vor Schuldzuweisungen oder Sanktionen haben müssen.
Wenn das Umfeld etwas mitbekommt, können sie die werdende Mutter unterstützen. Aber: „Die Motivation, an der eigenen Situation grundlegend etwas zu ändern, muss bei der Person selber vorliegen“, sagt Schwarz als Referent für Suchtprävention vom BIÖG. Es sei ungewiss, „ob die Schwangerschaft alleine ein ausreichender Stimulus ist, eine Frau, die alkoholabhängig ist, dazu zu bewegen, diese Abhängigkeit zu überwinden.“ Doch grundsätzlich werde die Schwangerschaft von vielen wie ein Neustart gesehen; als Anlass, das eigene Verhalten zu überdenken. „Deswegen kann die Schwangerschaft eine Chance sein, auch dauerhaft in eine Abstinenz oder einen viel reflektierteren Umgang mit Alkohol einzusteigen.“
Netzwerke helfen
Erste Ansprechpartner sind Frauenärzte, Suchtberater oder Sprechstunden von Geburtskliniken sowie Suchtkliniken. Netzwerk-Projekte wie „clean4us“ des Universitätsklinikums Jena [externer Link] versuchen, zu vermitteln. Je früher, desto besser, auch schon beim Kinderwunsch. Dann werde auch aufgeklärt, was rechtlich gilt, wenn man zur Geburt positiv auf Alkohol getestet wird oder was im Körper durch Suchtsubstanzen passiert, informiert Casemanagerin Liane Menke.
„Es braucht viel mehr Aufklärung und das offene Ansprechen von Frauenärzten und Hebammen“, sagt sie. „Man kann nicht ändern, wo man ist, aber man kann ändern, wo man hingeht“, sei ein Spruch von „clean4us“.

