„Eine belagerte Festung muss auch von innen gestärkt werden. Außerdem gilt nach wie vor der Grundsatz: ‚Je weniger man weiß, desto besser schläft man'“, spottete der russische Politologe Georgi Bovt (externer Link) über eine neue „Umfrage“ des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM, wonach weit mehr als die Hälfte der Befragten persönlich keine Probleme mit einer verschärften Netz-Zensur hätten.
„Das Internet und die mobile Kommunikation geraten allmählich auf die Liste der künstlich hervorgerufenen, nicht-traditionellen Werte. Wir haben einst irgendwie ohne sie gelebt – und es war völlig in Ordnung so“, kommentierte das der St. Petersburger Politologe Michail Winogradow (externer Link) ironisch. Ein Kollege von ihm fürchtete, die Netzkommunikation werde in Russland wohl bald zum „Luxus für wenige Privilegierte, wenn sie nicht gerade wegen Drohnenangriffen ausfällt“.
„Macht Regimewechsel wahrscheinlicher“
Ein weiterer russischer Polit-Blog empörte sich (externer Link): „Die alten Dackel in Regierung und Kreml ruinieren das Leben junger Menschen. Je mehr unpopuläre Entscheidungen die Regierung trifft, desto schlechter werden ihre Zustimmungswerte sein. In Russland wird dies natürlich kaum Auswirkungen auf die Wahlergebnisse haben, aber es wird andere Szenarien eines Regimewechsels wahrscheinlicher machen.“
Jeder vierte Russe begrüßt nach Angaben von WZIOM ausdrücklich (externer Link), dass die Behörden den Zugang zu Netzadressen wie YouTube unterbinden, 30 Prozent seien diesbezüglich „unentschlossen“, wobei es wenig verwunderlich ist, dass die jüngere Generation damit erheblich mehr Probleme hat als die ältere. Immerhin: Einer Mehrheit von 55 Prozent der Befragten ist es demnach egal, wenn Netz-Sperren umgangen werden, etwa mit verschlüsselten VPN-Zugängen.
„Besser mit null multiplizieren“
Offenbar stellten die Behörden die Russen als „Masochisten“ dar, heißt es bei einem anonymen Blogger aus Pskow mit 21.000 Fans (externer Link). Das sei zwar „beunruhigend“, dürfe aber nicht überdramatisiert werden: „Staatliche Meinungsumfragen spiegeln schon lange nicht mehr die Realität wider, sondern zeichnen ein von den Machthabern gewünschtes Zukunftsbild.“ So würden rund vierzig Prozent der Befragten gar nicht mehr antworten, viele weitere wüssten genau, was die Behörden erwarteten und verhielten sich entsprechend: „Diese ‚WZIOM-Propaganda‘ lässt sich also durch 10 teilen. Oder besser noch, mit null multiplizieren, damit die Diskrepanz zwischen Realität und Umfrageergebnissen keine kognitive Dissonanz erzeugt.“

