💬 „Dein Argument“ greift Euren Input auf: Kommentare aus der BR24-Community sind Anlass für diesen Beitrag. 💬
Alte Gräber und Gräberfelder sind für Archäologen eine wichtige Quelle für Erkenntnisse. Wie wurde bestattet? Wer wurde bestattet? Welche Gegenstände liegen mit im Grab? Wie genau sieht das Skelett aus? Das alles lässt Rückschlüsse auf die religiösen, sozialen und materiellen Verhältnisse der Vergangenheit zu – und eventuell sogar auf die Lebensweise einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu einer bestimmten Zeit.
Beispiele gibt es viele, der „Ötzi“ ist wohl das bekannteste, weil sein außergewöhnlich gut erhaltenes Skelett einen tiefen Einblick in das Leben der Menschen in der Steinzeit ermöglicht. Aber auch in Bayern machen Archäologen immer wieder spektakuläre Entdeckungen, etwa ein Hügelgrab aus der Bronzezeit bei Weilheim oder der „Mann von Exing“, der 2024 in der Nähe von Landau ausgegraben wurde – und der noch älter ist als „Ötzi“.
Störung der Totenruhe?
Nachdem der größte Pestfriedhof Deutschlands 2024 in Nürnberg auf der Baustelle eines Pflegeheims gefunden wurde, berichtete BR24 darüber, dass die mittlerweile freigelegten Skelette nun vorübergehend in einem leerstehenden Halle eines Supermarkts lagern.
BR24-User fragen sich allerdings, wie es in diesen Fällen mit der sogenannten Totenruhe aussieht. Nutzer „Speedy“ kommentierte dazu: „Warum gibt es hier keine Totenruhe? (…) Die Verletzung der Totenruhe, also Grabschändung, die Entnahme von Leichenteilen oder ähnliche Handlungen, sind nach § 168 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar und können mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden. Warum wird das hier nicht angewendet?“ So argumentierte auch User „Dahoambini“: „Was ist mit Störung der Totenruhe, ist doch eine Straftat. Oder haben die Verantwortlichen von den Toten die Erlaubnis mit Unterschrift.“
Die „Störung der Totenruhe“ ist tatsächlich eine Straftat – die Freilegung von Gräbern durch Archäologen fällt allerdings nicht darunter. Das hat mehrere Gründe.
Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn und Denkmalschutz
Zweck von archäologische Grabungen ist die Einhaltung des Denkmalschutzes und oft auch der Gewinn wissenschaftlicher Erkenntnisse. Etwas anderes ist es, „wenn die Totenruhe aus Gründen materieller und persönlicher Bereicherung gestört wird“, erklärt Katharina Schmid vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Diese Form der Störung findet ihren strafrechtlichen Ausdruck im Paragraf 168 des Strafgesetzbuchs, der Störung der Totenruhe. Wer also ein Grab öffnet, um es etwa zu plündern, macht sich strafbar.
Weiter teilt Schmid mit, dass die Totenruhe nach dem Gesetz sich ausschließlich auf Gräber beziehe, die als solche erkennbar seien. „Und auch außerhalb solcher Stätten gilt sie nur so lange, wie die sterblichen Überreste noch eine individuelle Zuordnung zu einer bestimmten Person zulassen.“ Auf archäologische Untersuchungen träfe das also nicht zu.
Die Würde des Menschen endet nicht nach seinem Tod
User „Effendi“ merkte in seinem Kommentar an, dass auch Verstorbene Rechte haben. Er kommentierte: „Lasst doch die sterblichen Überreste beerdigen und in Ruhe lassen. Das haben alle Menschen nach dem Tod verdient. Hier wird dieses Recht mit Füßen getreten.“
Die Würde des Menschen, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben ist, endet tatsächlich nicht mit seinem Tod. Auf die Menschenwürde, die über den Tod hinaus gilt, bezieht sich auch der Begriff der „Totenruhe“.
In der Archäologie spielt der Respekt gegenüber den Toten eine wichtige Rolle, sagt Sascha Piffko, Chef der Archäologiefirma Spau GmbH. Seine Firma gräbt bei großen Projekten wie SuedLink, ist aber auch bei kleineren archäologischen Untersuchungen in der Region dabei. „Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit Fragestellungen zu Moral und Ethik im Umgang mit der Totenruhe“, sagt er im Gespräch mit BR24.
Archäologische Untersuchungen sind gesetzlich vorgeschrieben
Was oft vergessen werde: In dem Moment, in dem archäologische Untersuchungen durchgeführt werden, sei meistens schon klar, dass „Bagger anrücken, um für die Stromtrasse, den Supermarkt, oder für das, was eben dort gebaut wird, Platz zu schaffen“. In Nürnberg war es die Baugrube für die Errichtung eines Seniorenheims, in dem die Toten entdeckt wurden. Skelette oder Knochen dürften aber per Gesetz nicht einfach weggebaggert werden. Und damit beginnt die Arbeit der Archäologen. Für ihre Arbeit gibt es feste Leitlinien – auch zum Umgang mit menschlichen Überresten [externer Link].
Sascha Piffko sagt, er stand bei Ausgrabungen schon selbst vor einem alten Grab, in dem eine Familie mit Kindern eng umschlungen gelegen habe. Das gehe einem auch als Profi nahe. „Wir Archäologen und Archäologinnen erzählen die Geschichten der Toten, oft auch die Geschichte des Unrechts, das ihnen widerfahren ist. Und wir können dazu beitragen, dass diese Geschichten nicht vergessen werden“, sagt Piffko. Und damit würden sie den Toten oft auch ihre Würde zurückgeben. Auch Toten, die hingerichtet oder ermordet wurden. Oder eilig in einem Massengrab verscharrt, wie die Pestopfer in Nürnberg.

