đĄ Peter Jungblut beobachtet fĂŒr BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-KanĂ€le und Social Media, und wertet die EinschĂ€tzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt ĂŒber die Ereignisse diskutieren.
Die beiden russischen Ăkonomen Igor Lipsitz und Wladislaw Inosemtsew âduellierenâ sich in der in Amsterdam erscheinenden âMoscow Timesâ wie Helden aus einem Dostojewski-Roman. Der erstere warnt seit Monaten vor einem baldigen Kollaps von Putins Kriegswirtschaft, der zweitere schreibt völlig unbeeindruckt von allen vermeintlichen Hiobsbotschaften: âEs gibt keinen Grund, mit einer Haushaltskrise zu rechnen: Selbst der fallende Wechselkurs des Rubels kommt der Regierung zugute.â
Inosemtsew, der regelmĂ€Ăig in westlichen Medien veröffentlicht und nicht zu den ausgewiesenen Propagandisten zĂ€hlt, rĂ€umt zwar wirtschaftliche Probleme ein, erwartet aber auch kĂŒnftig einen moderaten Anstieg des Lebensstandards: âEs ist unwahrscheinlich, dass die aktuelle Wirtschaftspolitik des Kremls die wirtschaftliche StabilitĂ€t in den Jahren 2025 und 2026 gefĂ€hrden wird. Es wird keine Stagflation geben: Die Inflation wird im nĂ€chsten Jahr langsam sinken und das Wirtschaftswachstum wird nicht nachlassen.â
âTrĂ€ume verschwinden wie Morgennebelâ
Wer von beiden Recht hat, wollen die Fachleute binnen Jahresfrist ĂŒberprĂŒfen. Fest steht, dass der Rubel trotz aller GegenmaĂnahmen der Regierung von Tag zu Tag an Wert verliert, und zwar rasant. Aktuell ist ein Rubel deutlich weniger wert als ein US-Cent, was im Kreml bisher als so blamabel galt, dass alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, die russische WĂ€hrung oberhalb dieses psychologisch wichtigen Umtauschkurses zu stabilisieren. Selbst Propagandisten sprechen von (aus ihrer Sicht unbegrĂŒndeten) âPanikâ und beschimpfen die Zentralbank.
Igor Lipsitz höhnte, niemand könne Putins Gefolgsleuten den Glauben an optimistische Prognosen verbieten. Er selbst sieht Putins Wirtschaft allerdings âauf der Steilklippe der Verzweiflungâ, kurz vor dem Sprung in den Abgrund. NatĂŒrlich könne Putin noch mehr Kredite aufnehmen, aber das werde die hohe Inflation weiter anheizen: âTrĂ€ume von einer hohen Staatsverschuldung werden sich wie der Morgennebel verziehen, so wie TrĂ€ume von einer Haushaltskonsolidierung im Jahr 2025 verdunstet sind. In einem Land mit abnormaler Politik kann es keinen normalen Haushalt geben.â
Politologe Ilja Graschtschenkow wagte darauf hinzuweisen, dass nur ein knappes Drittel der Russen âaus der berĂŒchtigten Oberschichtâ von Putins Kriegskonjunktur profitiere. Es gebe eine âparadoxe Schieflageâ. Die offiziell verbreitete Zuversicht ĂŒber wachsenden Wohlstand passe ĂŒberhaupt nicht zu den persönlichen GesprĂ€chen, die er fĂŒhre.
âKatastrophe, genauer gesagt Zusammenbruchâ
Politologe Anatoli Nesmijan erwartet eine noch schneller rotierende Inflationsspirale: Weil der Rubel abstĂŒrze, stiegen die Preise fĂŒr Waren, die aus dem Ausland eingefĂŒhrt wĂŒrden um bis zu 50 Prozent. Nesmijan rechnet mit einer âKaskade des Zerfallsâ, weil Putin wegen der hohen Kriegskosten zunehmend auf hektische NotfallmaĂnahmen angewiesen sei.
âDer Kern jedes Krisenmanagements besteht darin, dass das Tempo der Entscheidung Vorrang vor deren QualitĂ€t hat. Es fehlt an Zeitâ, so der Politologe. âDiese Art des Managements hat eine Kehrseite: Es hĂ€ufen sich Fehler an. Sie sind unter einem solchen Management unvermeidlich. Was die Endlichkeit dieser Art des Regierens vorgibt. Wenn die âmanuelle Steuerungâ zur einzigen Möglichkeit wird, das System stabil zu halten, beginnt es selbst, Krisen zu erzeugen. Es ist klar, dass ein solcher Zustand des Systems nur mit einem Wort beschrieben werden kann â Katastrophe, genauer gesagt Zusammenbruch.â
âSchmerzhafter wunder Punktâ
Die russische Zentralbank soll hinter den Kulissen âextrem pessimistischâ sein, hieĂ es in einem maĂgeblichen Telegram-Kanal (361.000 Fans). Dort war von einem Rubel-âAbsturzâ die Rede, den der Kreml nicht mehr steuern könne. Der offizielle WĂ€hrungskurs werde âwillkĂŒrlichâ nach undurchschaubaren Kriterien festgesetzt. Der russische Finanzminister löste mit der Bemerkung KopfschĂŒtteln aus, es gebe Wichtigeres als das Zinsniveau.
Wie bizarr und unglaubwĂŒrdig die Propaganda des Kremls ist, war bei einem russischen Ăkonomen zu lesen, der auf die Meldung Bezug nahm, Russland und der Iran verzichteten bei ihrem Handel mittlerweile konsequent auf den US-Dollar: âIm Iran unterscheidet sich der offizielle Wechselkurs stark von dem auf dem Schwarzmarkt. Das fĂŒhrt zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Preise. TatsĂ€chlich bleibt der Preis in US-Dollar fĂŒr alle Waren der Bezugspunkt, und das ist ein schmerzhafter wunder Punkt.â