Die Verfechter moderner Führungskonzepte drohten zu übersehen, dass ihre Konzepte „in vielen Facetten den Vorstellungen ähneln, die von den Nationalsozialisten propagiert“ worden seien, so der Soziologe Stefan Kühl in seinem aufsehenerregenden Buch „Führung und Gefolgschaft“, in dem er sich mit Management-Ideologien im Nationalsozialismus und in der Demokratie beschäftigt.
Kühl konzentriert sich darin vor allem auf den gern bemühten Begriff „Gemeinschaftsgefühls“, das nach Lesart amerikanischer Management-Vordenker wie Peter Drucker (1909 – 2005) eine „Quelle für die Identität und Stärke“ eines Unternehmens sein soll.
„Vom faschistischen Denken geprägt“
„Es werden bestimmte Grundprinzipien übernommen, die im Nationalsozialismus eine große Rolle gespielt haben“, so Kühl gegenüber dem BR: „Charisma, Sinnhaftigkeit der Arbeit und Gemeinschaft. Das wird vom Rassismus und von völkischen Elementen völlig entkleidet, aber die Grundprinzipien, wie Organisation funktioniert, die sind identisch. Man musste sich dann aber sehr stark abgrenzen vom Nationalsozialismus, weil der in den USA nicht besonders populär gewesen ist.“
Druckers Vorstellung von „Gemeinschaft“ sei vom „faschistischen Denken“ nach dem Ersten Weltkrieg geprägt, so Kühl. Dabei hätten die Nazis die „Volksgemeinschaft“ durch Ausgrenzung lediglich neu definiert. Sie seien keineswegs die Erfinder gewesen. Vielmehr habe sich damit bereits 1887 der Soziologe Ferdinand Tönnies (1855 – 1936) in seinem ungemein folgenreichen Grundlagenwerk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ ausführlich damit beschäftigt.
„Das hat Charme, klar“
„Da wurde so ein Konzept herausgeholt, ohne dass man sich der historischen Spuren bewusst gewesen ist“, so Kühl: „Als das eigentlich immer noch vorherrschende Konzept der transformationalen Führung – das ist so was wie charismatische Führung – hochgekommen ist, da war natürlich schon auffällig: Es gibt einen charismatischen Führer, an den man denken muss, nämlich Adolf Hitler.“ Abgrenzungsbemühungen hätten dabei „nicht besonders gut funktioniert“.
In kleinen, vertrauten Gruppen könne diese Art „Gemeinschaft“ durchaus angebracht sein, argumentiert der Soziologe: „Das hat Charme, klar. Das ist ja so etwas wie Heimat. Ich kann das gut verstehen. Ich habe vor 20 Jahren Jungunternehmen, sogenannte Starts-ups, untersucht, die sehr schnell gewachsen sind. Klar, das macht erstmal unglaublich viel Spaß, 16 Stunden in so einem Betrieb zu arbeiten und danach Party zu machen.“
„Nicht einfach Puddingpulver herstellen“
Doch dieser Zustand sei selten von Dauer: „Die Erfahrung ist aber in der modernen Gesellschaft, dass es einen Moment gibt, wo einem diese Übergriffigkeit bewusst wird, wo die Leute dann eine Distanz zu so einer Organisation aufbauen, teilweise auch Zynismus, weil man feststellt, dass sich diese Gemeinschaftsidee nicht durchhalten lässt.“ Manche Mitarbeiter empfänden ihre Inanspruchnahme dann als „totalitär“ und „übergriffig“.
Auch der Anspruch, jeden Arbeitsschritt mit „Sinn“ aufzuladen, sei fraglich. So hätten die Nazis die Ansicht vertreten, der Mensch werde als „beseelter Motor des Betriebsgeschehens“ erst dann zu Höchstleistungen angespornt, wenn er für ein Ideal kämpfe. Wer etwas „Höheres“ anstrebe, werde er „nicht nur die Stunden messen und in die Lohntüte gucken“.
„Die Leute sollen nicht einfach Puddingpulver herstellen, sondern sie sollen auch die Sinnhaftigkeit darin erkennen“, so Kühl. „Der Mitarbeiterin in der Verwaltung soll die Sinnhaftigkeit von Bauanträgen vermittelt werden. Diese Idee spielt eine nicht ganz unwichtige Rolle. Jetzt kann man sagen, natürlich, in gewisser Art und Weise ist das ein Motivationsfaktor, wenn man eine sinnvolle Tätigkeit hat. Es wird aber halt häufig zu einer Management-Ideologie. Diese Idee, die da vertreten wird, ist letztlich – angereichert mit Rassismus – eine Idee gewesen, die im Nationalsozialismus eine wichtige Rolle gespielt hat.“
„Autoritäre und totalitäre Komponenten“
In seinem Buch kommt Stefan Kühl zum durchaus beunruhigenden Fazit, dass es zwar „keine Indizien“ dafür gebe, dass die heutigen Fürsprecher von „Gemeinschaft“ auch nur „geringste Sympathien“ für das NS-Denken hätten, allerdings könne ein charismatischer Führer ein „breit geteiltes Gemeinschaftsgefühl fast unmerklich mit autoritären, totalitären und rassistischen Komponenten“ aufladen, deren Ähnlichkeit mit der nationalsozialistischen Ideologie „einen dann fast schon überrasche“.
Stefan Kühl: „Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie“, Suhrkamp-Verlag. 24 Euro.