Mit der Sommersonnenwende beginnt der astronomische Sommer. Dieser Tag, das sogenannte Solstitium, übt seit jeher eine besondere Faszination auf die Menschen aus. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Tradition, den längsten Tag des Jahres mit Festen zu feiern, bis in die Frühgeschichte der Menschheit reicht.
Rituale zur Sonnwende schon in Frühgeschichte der Menschheit
„Die ältere Forschung verweist immer darauf, dass es Feuer gegeben habe, die rund um dieses Datum entzündet wurden“, erklärt Thomas Schindler, Kulturanthropologe und Referent für Volkskunde am Bayerischen Nationalmuseum. Wie genau diese frühgeschichtlichen Rituale rund um die Sonnwende jedoch ausgesehen haben, könne allerdings nur erahnt werden. „Wichtig ist: Es geht um den längsten Tag des Jahres. Wichtig ist, dass es offensichtlich etwas mit Vegetation, etwas mit Pflanzenwachstum zu tun hat“, sagt Schindler. Für die bis ins 19. Jahrhundert bäuerlich geprägte Kultur sei dies etwas Elementares gewesen.
Aus dem Mittelalter ist belegt, dass in der Nacht vor dem Johannistag vielerorts sogenannte Johannisfeuer entzündet wurden. In der katholischen Kirche ist das Johannisfest am 24. Juni seit dem 4. Jahrhundert ein Hochfest. Es erinnert an Johannes den Täufer, einen jüdischen Prediger, der nach biblischer Überlieferung auch Jesus selbst im Jordan getauft haben soll und als dessen Wegbereiter gilt.
Verschmelzen von christlichen und vorchristlichen Elementen
Den Geburtstag des Täufers hatte die frühe Kirche deswegen auf exakt sechs Monate vor Jesu Geburt terminiert, also auf den 24. Juni. Der Tag steht im Zusammenhang mit dem Zitat aus dem Johannesevangelium, wo der Täufer im Hinblick auf Jesus sagt: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Wie die Sonne nach der Sonnwende. Es ist also kein Zufall, dass dieser Tag genau in die Zeit der Sommersonnenwende, also auf den längsten Tag des Jahres, fällt.
So wie im Fall von Weihnachten verschmolzen im Brauchtum zum Johannisfest christliche und vorchristliche Elemente – denn mit der Sommersonnenwende am 21. Juni gab es fast zeitgleich bereits bei den vorchristlichen Europäern einen wichtigen Termin im Jahreslauf. „Man hat die Bibel als Ausgangspunkt genommen, um ganz bestimmte Jahrestage von Heiligen in den Jahreslauf der Bevölkerung zu integrieren, sodass beispielsweise bestehende Handlungen Teil des christlichen Handelns wurden“, erklärt Thomas Schindler. Das Christentum habe, indem es seine eigenen Gedenktage auf bereits bestehende Feiertage gelegt habe, selbst eine stärkere Legitimation erfahren.
Sonnwendfeiern verbreitet in Nord- und Osteuropa
Nicht nur in Bayern hat sich diese Tradition bis heute erhalten. Besonders in Nord- und Osteuropa werden Bräuche zur Sommersonnenwende gepflegt. So hält sich in Russland und in der Ukraine zum Beispiel der Aberglaube, nur in dieser Nacht sei im Wald eine blühende Farnblume zu sehen. Wer sie erblickt, könne verborgene Schätze finden und allerlei weitere magische Fähigkeiten erlangen, weswegen nächtliche Waldwanderungen nichts Ungewöhnliches sind.
In Schweden wiederum ist „Midsommar“ nach Weihnachten das Fest schlechthin. Es fällt immer auf den Freitag um den 21. Juni, an dem es abends kaum noch dunkel wird und der in dem skandinavischen Königreich arbeitsfrei ist.
Brauch als „germanisch“ von Nationalsozialisten vereinnahmt
Auch die Nationalsozialisten haben versucht, das Mittsommerfest und die Johannisnacht mitsamt der dazugehörigen Symbolik von Sonne, Feuer und Natur für sich zu vereinnahmen. Schon während der NS-Diktatur waren vielerorts Sommersonnwendfeiern inszeniert worden – unter Berufung auf die Tradition der germanischen Ahnen und in bewusster Abgrenzung zum Christentum.
Bräuche wie die Sonnwendfeier eigneten sich besonders, um umgedeutet oder auch neu interpretiert zu werden, sagt Kulturanthropologe Schindler. „Entscheidend ist beispielsweise bei der Sonnenwende, dass es schlicht und ergreifend einen längsten Tag gibt und dieses Phänomen als solches zu feiern. Dieser Bedarf reißt nie ab.“ Daseinsbewältigung: So nennt der Kulturanthropologe dieses Phänomen.
Und auch Gerd Biegel, Historiker für Ur- und Frühgeschichte, pflichtet dem bei. Für die meisten Menschen hätte der längste Tag heutzutage jedoch weder eine existentielle noch eine religiöse Bedeutung. „Die Sonnwendfeiern haben in erster Linie eine gemeinschaftsstiftende Bedeutung.“