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Deutschland ist bekannt für sein „sozialpartnerschaftliches Modell“ zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. In der Beziehung gilt Tarifautonomie. Die Partner haben also das Recht, Arbeitsbedingungen und Löhne eigenständig in Tarifverträgen auszuhandeln.
BR24-User „Codedoc“ hält die Liaison zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aber für unnötig: „Ich würde gar keinen Tarif wollen“, kommentierte er kürzlich und argumentierte: „Das würde mir ja auch selbst die Flexibilität in der Verhandlung nehmen. Ich möchte selber ausmachen, was ich am Ende des Tages im Austausch gegen meine Leistung erhalte, und das darf sich gerne von anderen unterscheiden. Und wenn mir etwas nicht passt, kann ich ja immer noch wechseln. Das muss man dann einfach mit in die Waagschale werfen.“
Tatsächlich ist die Sozialpartnerschaft in Deutschland umstritten. Was also spricht dafür und was dagegen?
Die Vorteile der Beziehung
Ein Tarifvertrag bringt beiden Seiten am Verhandlungstisch Vorteile. Als Beschäftigter allein mit dem Chef oder der Chefin über das Einkommen zu verhandeln, ist nicht jedermanns Sache. Zudem könnte das die ungleiche Behandlung der einzelnen Beschäftigten fördern. Wer besser verhandeln kann, bekomme dann mehr – so argumentieren die Gewerkschaften.
Aber auch die Arbeitgeberverbände haben sich bisher ausdrücklich für die Tarifautonomie ausgesprochen. Für alle, die in einer Branche nach Tarif bezahlen, gelten gleiche Konditionen. Im Wettbewerb der Unternehmen kann sich nicht der durchsetzen, der bei den Personalkosten ansetzt. Außerdem erspart ein für alle gültiger Tarifvertrag der Personalstelle mühsame Einzelverhandlungen. Das sozialpartnerschaftliche Modell in Deutschland hat laut Wissenschaftlern auch mit dafür gesorgt, dass die Bundesrepublik vor allzu vielen und größeren Streiks verschont blieb.
Die Nachteile der Beziehung
Wenn sich aber Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften lange nicht einigen und es zu Streiks kommt, kann das das öffentliche Leben oder die Produktion immer wieder lahmlegen. Die Folgen etwa im Bahn-, Lastwagen- oder Flugbereich: Menschen kommen nicht zur Arbeit, wegen fehlender Teile stehen Bänder still. Die Wirtschaft wird insgesamt geschädigt.
Außer Appellen bleibt der Politik aber kaum Handhabe. Tarifrunden ohne Möglichkeit des Streiks wäre „kollektives Betteln“. Auch das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Die Arbeitgeber haben die Möglichkeit, mit einer Aussperrung zu reagieren. Das heißt, sie können streikende Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit von der Arbeit ausschließen und keinen Lohn zahlen.
Staat setzt Mindeststandards
Der Staat kann sich in die Beziehung einmischen, wenn es um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geht. Er hat eine gewisse Schutzfunktion: So gibt es Gesetze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Arbeitszeiten regeln wie den Acht-Stunden-Tag, Urlaub zur Erholung vorschreiben oder den Mindestlohn. Das sind Mindeststandards. Darunter geht nichts, darüber allerdings schon.
Schwindende Liebe
Ein Problem aber haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände seit Jahren: Es drängt ihre Klientel nicht gerade, Mitglied zu werden. Das diskutieren auch BR24-User:
- Miguel_de_Madrugador: „Gewerkschaften sollten sich selbst einmal kritisch hinterfragen, warum Beschäftige nicht mehr Mitglied sind und von Gewerkschaften vertreten werden wollen.“
- Avanti: „Das Problem ist, dass die meisten Berufseinsteiger gar nicht wissen, welche Vorteile es für ihre berufliche Karriere haben wird, wenn ihr Unternehmen zu einer Gewerkschaft gehört.“
Keine Pflicht Mitglied zu werden
Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes zu sein, ist freiwillig. Juristen sprechen von „negativer Koalitionsfreiheit“. Sich dagegen zu entscheiden, darf einem nicht zum Nachteil ausgelegt werden. Darum auch zieht das Bundesarbeitsgericht gewisse Grenzen, wenn Gewerkschaften in Tarifrunden für ihre Mitglieder einen Bonus aushandeln wollen. Im Prinzip soll der die Höhe des Beitrages nicht überschreiten.
Auch Unternehmen müssen nicht Mitglied im Verband sein. Sie können selbst etwas für ihre Belegschaft aushandeln – einen Haustarif – oder mit jedem Beschäftigten alles im Arbeitsvertrag regeln. In etlichen Branchen bieten Verbände eine sogenannte OT-Mitgliedschaft an, das steht für ohne Tarif. Die Firmen können auf Dienstleistungen des Arbeitgeberbandes zurückgreifen, sind aber nicht an den Flächentarif gebunden. Adidas hat die Karte jetzt gezogen.
Ein Tarifvertrag für alle
Die meisten Betriebe behandeln Gewerkschafts-Mitglieder und Nicht-Mitglieder gleich. Sie wollen damit erreichen, dass nicht noch mehr ihrer Beschäftigten einer Gewerkschaft beitreten. Es gelte, die negative Koalitionsfreiheit zu garantieren, so das Argument. Den Gewerkschaften ist das ein Dorn im Auge. Warum sollte jemand ihrer Organisation beitreten und Beitrag zahlen, wenn er auch so in den Genuss der Tarifabschlüsse kommt. OT-Mitgliedschaft sollte untersagt werden – meint der DGB. Und wieder zeigt sich: Es ist eine komplizierte Beziehung.