Die dramatische Lage der Menschen im Gazastreifen sorgt für wachsende Kritik am Vorgehen Israels unter der Regierung von Premier Benjamin Netanjahu. Doch viele beschränken sich nicht auf den Unmut über die Kriegshandlungen. Menschen mit israelischer Nationalität haben es international zunehmend schwerer – auch wenn sie ihre politische Haltung nicht öffentlich kundtun. Jüngstes Beispiel ist die Ausladung der Münchner Philharmoniker von einem Festival in Gent. Die Begründung: Deren designierter israelischer Chefdirigent Lahav Shani habe sich nicht klar genug von Netanjahus Politik distanziert.
Die Zahl der Israel-Kritiker wächst, je umstrittener das militärische Vorgehen Israels ist. Auch in der internationalen Kulturszene. „Neutralität ist keine Option“, heißt es zum Beispiel von den Organisatoren eines Solidaritätskonzerts für Palästina, das am 17. September in London stattfinden soll. Künstler wie Nick Cave oder die Band Radiohead, die darauf verwiesen, dass Israel ein demokratisches Land sei und ihre Auftritte dort verteidigten, mussten sich als „ausgemachte Zyniker“ und „Profiteure“ beschimpfen lassen [externer Link].
Radiohead-Gitarrist: „Ausladungen sind kein Grund zum Feiern“
Nach der erzwungenen Absage zweier Konzerte des israelischen Rockmusikers Dudu Tassa in London und Bristol im vergangenen Mai gemeinsam mit Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood hatten die beiden erklärt: „Veranstalter einzuschüchtern, damit sie unsere Auftritte absagen, wird nicht dazu beitragen, den Frieden und die Gerechtigkeit zu erreichen, die jeder im Nahen Osten verdient. Die Organisatoren solcher Ausladungen werden diese als Sieg feiern, aber wir sehen keinen Grund zum Feiern und können nicht feststellen, dass dadurch etwas Positives erreicht wurde.“
Gleichwohl wird der Streit immer heftiger. Vor wenigen Tagen hatten sich Filmschaffende mit einem Boykott-Aufruf gegen israelische Filmfestivals [externer Link], Kinos und Sender zu Wort gemeldet („Filmworkers for Palestine“). Zu den inzwischen rund 4.000 Unterzeichnern gehören prominente Schauspieler wie Tilda Swinton und Javier Bardem.
Anta-Festival abgesagt – mit seltsamer Begründung
Die Polarisierung treibt international teils auch bizarre Blüten. Das auf psychedelische Musik spezialisierte portugiesische Anta-Festival wurde Ende August vom örtlichen Bürgermeister kurzfristig mit der Begründung abgesagt, die zu erwartende „große Menge brennbarer Materialien“ sei in dem Waldgebiet gefährlich, bevor die Veranstalter einräumten, dass der Druck der israelkritischen BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“) zu groß geworden war.
Ein Harfen-Wettbewerb, der im kommenden Dezember in Israel stattfinden sollte, musste abgesagt werden, weil es nur zwei Anmeldungen gab [externer Link]. Die italienische Harfenistin Claudia Lucia Lamanna begründete ihren Rückzug nach Angaben der israelischen Zeitung „Haaretz“ damit, dass der internationale Druck zu groß geworden sei und dass schon die Ankündigung ihrer Teilnahme ihrer „Karriere zu schaden drohe“.
Unmut auch in Wissenschaft und Forschung zu spüren
Auch aus der Wissenschaft und Forschung sind solche Fälle bekannt: Die „Times of Israel“ zählte bis zum vergangenen Februar rund 500 Boykott-Fälle im Universitätsbereich [externer Link], vor allem in den USA, Belgien, Spanien und England seien israelische Wissenschaftler ausgeladen worden. Die Universität im belgischen Gent hatte bereits am 31. Mai vergangenen Jahres verkündet [externer Link], sie werde ihre Zusammenarbeit mit israelischen Partner-Institutionen einstellen.
Der israelische Wirtschaftswissenschaftler und Humboldt-Preisträger Eyal Winter [externer Link] schrieb, er sei am 19. August von der Universität im belgischen Antwerpen zu einem „akademischen Jahr“ erst ein-, mittlerweile jedoch wieder ausgeladen worden: „Kürzlich erhielt ich eine ziemlich unfreundliche Nachricht vom Rektor persönlich, in der er bestätigte, dass meine israelische Staatsangehörigkeit zur Ausladung geführt habe. Er entschuldigte sich nicht einmal. Meine öffentliche Haltung gegen die Netanjahu-Regierung und gegen den Krieg zählte nichts.“