Wochenlang war es auf TikTok ein beliebter Trend: User unterlegten Videos aus ihrem Alltag mit derselben männlichen, KI-generierten Stimme. Mit der tiefen Erzählerstimme entsteht der durchaus unterhaltsame Eindruck, hier würde ein leicht verpeilter Vater die Videos seiner Kinder vertonen. Und dank KI kann die Stimme nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch [externer Link].
Viele User gehen dabei von der Annahme aus, dass die Stimme, mit der sie ihre Videos unterlegen, in sich schon komplett künstlich und KI generiert ist, also gar nicht auf einer realen Stimme basiert. Bis sich plötzlich jemand aus Norddeutschland meldet und meint: Das ist seine Stimme. Sie wurde ihm geklaut.
Synchronsprecher vs. KI
Jens Wendland ist schon seit fast drei Jahrzehnten Synchronsprecher und erinnert sich so an den Moment: „Ich war auf einer Fanveranstaltung. (…) Und mittendrin sagte eine Kollegin zu mir: ‚Ich habe dich ja nun den ganzen Tag gehört und deine Stimme ist so im Ohr. Ich habe hier eine Influencerin, der folge ich seit einiger Zeit. Und hör dir doch mal die Stimme aus dem Video an. Bist du das nicht?'“
Der Hamburger Wendland spricht unter anderem Beiträge für die Satire-Show Extra 3 ein, ist vor allem für seine Stimme des Nathan Drake in der Computerspielreihe „Uncharted“ bekannt. Und tatsächlich: Hört man sich seine echte Stimme und die TikTok-KI-Stimme an, dann klingen sie schon sehr ähnlich. Wendland kann in viele diverse Sprechstimmen switchen. Die, die der aus TikTok am nächsten kommt, nennt er „Erklärbär“. Und für die, aber auch für alle anderen Stimmen aus seinem Repertoire, hat er nie die Rechte abgetreten.
Chinesischer Tech-Konzern ByteDance
Dass die Stimme, die seiner ähnelt, überhaupt seit Monaten im Netz im Umlauf ist, macht die Videobearbeitungs-App CapCut möglich. Die ist Teil des TikTok-Kosmos, hinter der der Tech-Konzern ByteDance steckt. In der App kann jeder Nutzer seinen Wunschtext von dieser männlichen Erzählstimme ausspucken lassen. CapCut bietet dabei eine Menge an unterschiedlichen Stimmfarben an. Aber vor allem die des „Father Christmas“ – in der Jens Wendland sich wiedersieht – sticht heraus und wird zum Trend. Wendland selbst erfährt davon erst sehr spät, weil er selber kein Social Media hat. Um eigentlich so seine Daten besser zu schützen.
ByteDance ließ eine Anfrage des BR unbeantwortet. Es ist also unklar, auf welcher Grundlage sie ihre KI-Stimme generiert. Jens Wendland wird trotzdem mit einem Medienrechtsanwalt gegen den mutmaßlichen Stimmenklau vorgehen. Mit seiner Schauspiel-Kollegin Cosma Dujat hat er zudem ein Video [externer Link] gedreht, um auf Social Media darüber aufzuklären.
Der Fall Manfred Lehmann
Ein aktueller Fall macht etwas Hoffnung für den Berufszweig Synchronsprecher: Der Schauspieler Manfred Lehmann, der unter anderem als Stimme von Bruce Willis bekannt ist, hat erfolgreich gegen einen Youtuber geklagt. Der Youtuber hatte eine KI mit Lehmanns Stimme trainiert und so für seine eigenen Videos verwendet. Ob Jens Wendland nun gegen den Tech-Giganten eine Chance hat, wird sich zeigen. Zumindest erhält der Synchronsprecher gerade viel solidarischen Zuspruch. Auch von eben jenen Menschen, die die ihm ähnelnde KI-Stimme in ihren Videos genutzt haben.