Der Markt für Online-Coachings und digitale Weiterbildung boomt. Doch wo hohe Investitionen getätigt werden, wächst auch die Zahl der rechtlichen Auseinandersetzungen. Ein fast 50 Jahre altes Gesetz, das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG), sorgt derzeit für ein juristisches Erdbeben in der Branche. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat vielen Teilnehmern die Tür zur Rückforderung hoher Kursgebühren geöffnet. Doch die Annahme, jeder unzufriedene Kunde könne sein Geld problemlos zurückklagen, ist ein Trugschluss. Der Erfolg hängt maßgeblich von den Details des jeweiligen Angebots ab.
Die digitale Bildungsbranche, insbesondere der Sektor für hochpreisiges Business- und Persönlichkeits-Coaching, sieht sich mit einer Klagewelle konfrontiert. Im Zentrum steht die Frage: Fallen diese modernen Online-Formate unter das strenge Fernunterrichtsschutzgesetz? Die Antwort darauf hat weitreichende Konsequenzen. Denn das Gesetz verlangt für die meisten Fernlehrgänge eine staatliche Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU). Fehlt diese, ist der Vertrag von Anfang an nichtig – so die Theorie.
Das BGH-Urteil: Ein Game-Changer für Verbraucher und Unternehmer
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) hat die Position der Kursteilnehmer massiv gestärkt. Die obersten Richter legten die Kriterien für „Fernunterricht“ sehr weit aus und stellten klar:
- Breiter Anwendungsbereich: Nahezu jede entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der Lehrender und Lernender überwiegend räumlich getrennt sind, kann unter das Gesetz fallen. Die Bezeichnung als „Coaching“ oder „Mentoring“ ist irrelevant.
- Niedrige Hürde für Lernerfolgskontrolle: Schon die Möglichkeit, in Live-Calls, per E-Mail oder in Chat-Gruppen Fragen zu stellen, wertete der BGH als ausreichende Überwachung des Lernerfolgs.
- Schutz auch für Unternehmer: Die wohl größte Überraschung war die Feststellung, dass das FernUSG nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmer schützt, die einen Kurs für ihre selbstständige Tätigkeit buchen. Damit kippte der BGH die bisherige Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte.
Die Folge dieses Urteils ist für Anbieter ohne ZFU-Zulassung gravierend: Der Vertrag ist nach § 7 FernUSG nichtig. Teilnehmer können die gesamte Kursgebühr zurückfordern (§ 812 BGB), selbst wenn sie das Programm bereits absolviert haben. Ein Anspruch auf Wertersatz seitens der Anbieter scheitert in der Regel an hohen Hürden. Dies hat zu zahlreichen erfolgreichen Klagen und einer Goldgräberstimmung bei spezialisierten Anwaltskanzleien geführt.
Die Grenzen des Gesetzes: Warum Klagen dennoch scheitern
Trotz der klaren BGH-Entscheidung ist eine Klage kein Selbstläufer. Anbieter wehren sich zunehmend erfolgreich gegen Rückforderungsansprüche, indem sie die entscheidende Schwachstelle der Kläger angreifen: die Definition des Fernunterrichts. Eine Klage scheitert oft an folgenden Punkten:
1. Kein Fernunterricht, keine Nichtigkeit: Der Schwerpunkt der Leistung
Der entscheidende Faktor ist, ob die systematische Wissensvermittlung im Vordergrund steht oder nur eine dienende Funktion hat. Gerichte prüfen im Einzelfall, ob es sich nicht vielmehr um eine individuelle Beratungs- oder Begleitungsleistung handelt.
So entschied beispielsweise das Oberlandesgericht Celle in einem Fall, dass das FernUSG nicht anwendbar sei, weil der Schwerpunkt des Angebots auf dem individuellen Coaching und der persönlichen Begleitung lag. Die reine Wissensvermittlung war nachrangig. Anbieter argumentieren erfolgreich, dass ein reines 1:1-Coaching ohne festes Curriculum oder ein Programm, das überwiegend aus synchronen Live-Sessions ohne Aufzeichnung besteht, keinen Fernlehrgang darstellt.
2. Die Beweislast liegt beim Kläger
Der Teilnehmer, der sein Geld zurückfordert, muss vor Gericht darlegen und beweisen, dass alle Merkmale des Fernunterrichts gemäß § 1 FernUSG erfüllt sind. Er muss also aufzeigen, dass ein didaktisches Konzept vorlag, der Lernerfolg systematisch überwacht wurde und der asynchrone (zeitversetzte) Teil des Lernens überwog. Gelingt es dem Anbieter, den Eindruck einer reinen Dienstleistung oder einer persönlichen Beratung zu erwecken, wird die Klage abgewiesen. In manchen Fällen wurden Kläger sogar zur Zahlung ausstehender Raten verurteilt.
3. Fehlerhafte oder abgelaufene Widerrufsrechte
Manche Klagen stützen sich alternativ auf ein fehlerhaft erklärtes Widerrufsrecht. Doch auch hier gibt es Grenzen. Selbst bei einer fehlerhaften Belehrung erlischt das Widerrufsrecht spätestens nach 12 Monaten und 14 Tagen. Wer also zu lange wartet, verliert mögliche Ansprüche.
Fazit und Ausblick für die Wirtschaft
Die aktuelle Rechtslage stellt für die digitale Bildungs- und Coaching-Branche eine Zäsur dar. Das BGH-Urteil hat die Rechte der Teilnehmer signifikant gestärkt und zwingt Anbieter, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken. Viele werden nicht umhinkommen, ihre Kurse durch die ZFU zertifizieren zu lassen – ein kostspieliger und bürokratischer Prozess.
Gleichzeitig zeigt die Praxis, dass das FernUSG kein Freifahrtschein zur Rückforderung jeder Kursgebühr ist. Unternehmer und Verbraucher, die eine Klage in Erwägung ziehen, müssen sich bewusst sein, dass der Ausgang von einer detaillierten Einzelfallprüfung abhängt. Die entscheidende Frage wird immer lauten: War es ein standardisierter Lehrgang oder eine individuelle Dienstleistung? Die Antwort darauf entscheidet über Tausende von Euro und die Zukunft eines ganzen Wirtschaftszweiges.