„Dieser Skandal hat den Franzosen wieder einmal gezeigt, dass ihre Parlamentarier lügen. Deshalb gibt es eine Krise in Frankreich“, so äußerte der russische Propagandist und Politologe Sergei Markow [externer Link] Schadenfreude, womit er in seinem Heimatland nicht allein dastand.
Der umstrittene argentinische Präsident Javier Milei empörte sich ebenfalls über die „Heuchelei“ von Linksparteien. Grund für die internationale Aufregung: Der 25-jährige französische Abgeordnete Louis Boyard ließ vor einem TV-Auftritt seine Armbanduhr in der Hosentasche verschwinden, bevor er wortreich die Reichen geißelte. Kritiker unterstellten ihm, es habe sich wohl um eine teure Luxus-Uhr gehandelt, die seinem Image als Klassenkämpfer abträglich gewesen wäre.
Kleine Geste – großer Aufschrei
In den sozialen Medien Frankreichs wird wortreich geschimpft [externer Link] und der aus einem Wahlkreis im Marne-Tal stammende Boyard als „Hochstapler“ bezeichnet: „Diese Geste ist keine Nebensächlichkeit, sie versinnbildlicht den Inbegriff der Kaviar-Linken, dieser Kaste von Moralaposteln, die Heuchelei zur Kardinaltugend erhoben haben. Sie sind die effektivsten Parasiten des Systems, das sie angeblich bekämpfen. Sie schreien über soziale Ungerechtigkeit, fordern immer mehr Steuern, mehr Staat, mehr Knechtschaft – für andere. Denn für sich selbst profitieren sie schamlos von den Früchten des freien Marktes, den sie zerstören wollen.“
Am Handgelenk höre der „Klassenkampf“ offenbar auf, hieß es von einem der zahlreichen Kommentatoren [externer Link]. Die Geste Boyards spreche „Bände“, war zu lesen. Von der politischen Rechten wurde der redegewandte Linke gar als „Verräter an Frankreich“ verunglimpft und der Streit zur Zeitgeist-Debatte hochstilisiert.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sah sich im März 2023 übrigens ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt [externer Link], weil er seine Armbanduhr im Fernsehstudio abgelegt hatte. Die offizielle Begründung damals: Die Uhr habe zu sehr gegen die Tischplatte „geklimpert“.
BSW-Politiker Ernst: „Entbehrungssozialismus mit mir nicht zu machen“
In Deutschland hatten Linkspolitiker in den vergangenen Jahren mehrfach mit vermeintlichem „Luxus“-Gebaren für Aufsehen gesorgt. So musste sich der bayerische Co-Vorsitzende des BSW, Klaus Ernst, verteidigen, weil er mit einem Porsche unterwegs ist. Schon 2011 hatte er dem „Stern“ dazu gesagt, das Fahren mache ihm Spaß [externer Link]: „Man kann als Linker nicht nur rumlaufen, als hätte man drei Tage lang nicht geschlafen, nichts gegessen und auch noch schlecht gesoffen. Wenn wir immer so tun, als tragen wir das ganze Leid der Welt auf unseren Schultern, interessiert sich doch kein Schwein für uns. Ein Entbehrungssozialismus ist mit mir nicht zu machen.“
Sahra Wagenknecht sah sich Kritik ausgesetzt, weil sie als Europaabgeordnete 2007 „bei einem opulenten Hummeressen in Straßburg“ fotografiert worden war [externer Link]. Im vergangenen Dezember behauptete die BILD-Zeitung [externer Link], sie gehe im „Reichenviertel von Saarbrücken“ Blazer zu „happigen Preisen“ einkaufen.
Gysi im „Spiegel“: „Wir predigen Wein“
Aber auch Oskar Lafontaine und Gregor Gysi waren vor Jahren schon Zielscheibe der Medien. Lafontaine wehrte sich daraufhin zornig mit der Bemerkung: „Ich trage einen Luxus-Anzug, eine Luxus-Krawatte. Luxus-Schuhe und ein Luxus-Unterhemd.“ Gysi wurde vom „Spiegel“ einst mit dem Satz zitiert [externer Link]: „Wir predigen nicht Wasser und trinken selbst Wein. Wir predigen Wein.“
In den Feuilletons wird die Aufregung über die vermeintliche „Heuchelei“ von Linkspolitikern selten geteilt, ganz im Gegenteil. Dort wird seit Jahren eher über die „Genussfeindlichkeit“ der Linken geklagt, sogar in rechtskonservativen Medien wie „Cicero“ [externer Link]: „Eine linke Bewegung, die die Bedeutung des Genusses in allen erdenklichen Formen und die damit verbundene Lebensfreude gering schätzt oder gar negiert, ist weder emanzipatorisch noch radikal, sondern reaktionär.“
In der „Hamburger Zeit“ war bereits 2018 zu lesen, „schlechtes Essen und billige Klamotten machten die Welt auch nicht besser“. Und gern wird Coco Chanels Definition des „Luxus“ bemüht: „Luxus ist nicht das Gegenteil von Armut, sondern von Vulgarität. Luxus ist ein Stoffmantel mit Seidenfutter oder mit Pelz, aber innen. Man wirft den Mantel auf einen Stuhl, und das Futter kommt zum Vorschein. Sonst nicht. Die Dame allein weiß, dass sie Seide oder Pelz trägt. Sie hat es nicht nötig, darauf hinzuweisen. Das ist Luxus.“

