In den letzten zwanzig bis dreißig Jahren hat die Jugendkriminalität in vielen Industrieländern deutlich abgenommen. Zu diesem Ergebnis kommen der Kriminologe Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg und sein Kollege Robert Svensson von der Universität Malmö in Schweden in einer aktuellen Studie (externer Link). Für diese haben die beiden Wissenschaftler unter anderem Polizeidaten und sogenannte Dunkelfeldbefragungen, also Befragungen zu nicht erfassten Straftaten, ausgewertet.
Eigentumsdelikte gingen demnach stärker zurück als Gewaltdelikte, aber auch diese waren rückläufig. Früher war die Kriminalitätsrate von Jungen deutlich höher als bei Mädchen. Dieser Geschlechterunterschied hat sich verkleinert, denn die Kriminalitätsneigung bei Jungen ist stärker gesunken als bei Mädchen.
„Jugendliche haben Besseres zu tun, als kriminell zu sein“
Der Rückgang der Jugendkriminalität, so Oberwittler, lässt sich auf verändertes Freizeitverhalten zurückführen: „Ein maßgeblicher Faktor ist die Tatsache, dass sich Jugendliche wesentlich seltener mit Freunden treffen, im öffentlichen Raum oder in Kneipen, und dass sie weniger Alkohol trinken. Das sind Situationen, in denen es häufig zu Straftaten kommt.“
Sie verbrächten mehr Zeit am Computer und mit dem Smartphone und stünden zudem unter engerer Kontrolle der Eltern. Auch die Schule hat für Jugendliche an Bedeutung gewonnen, Bildung ist ihnen wichtiger: „Sie haben Besseres zu tun, als kriminell zu sein.“
Seit 2015 wieder leichter Anstieg der Jugendkriminalität
Erste Daten deuten jedoch darauf hin, dass der Trend nach unten stagniert oder sich umkehrt. Dennoch kann der geringe Anstieg den starken Rückgang der vergangenen Jahrzehnte nicht aufheben. Was die Ursache des erneuten Anstiegs ist, „weiß niemand“, so Oberwittler. Ein Migrationshintergrund habe damit „nicht unbedingt etwas zu tun.“
Zwar zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik etwa für das Jahr 2024, dass der Anteil strafverdächtiger männlicher, „nicht-deutscher“ Jugendlicher mehr als doppelt so hoch ist wie der von deutschen. Es gibt aber, so Oberwittler, eine Reihe von Faktoren, die dazu beitrügen: „Nicht-Deutsche“ würden eher angezeigt und die Polizei würde sie zudem stärker kontrollieren. Daraus resultieren jedoch die in der Polizeistatistik aufgeführten Verdachtsfälle. In 70 Prozent aller Verdachtsfälle würde die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage verzichten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist daher für Aussagen über das Kriminalitätsgeschehen „nur begrenzt aussagekräftig“, betont auch das Deutsche Jugend-Institut (externer Link), das nicht an der Studie beteiligt war.
Keine Bleibeperspektive, kein Anreiz für Gesetzestreue
Dass es etwa bei „jungen männlichen Erwachsenen aus nordafrikanischen Ländern“ Probleme mit Kriminalität gibt, bestreitet Oberwittler nicht. Eine Erklärung ist für ihn, dass diese „in der Regel keine Bleibeperspektive haben und daher auch keine großen Anreize, sich gesetzestreu zu verhalten.“ In der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2024 lag der Anteil von Strafverdächtigen aus Marokko, Tunesien und Algerien insgesamt unter 4 Prozent.
Verrohung der Sprache als Ursache von mehr Jugendgewalt
Bernd Holthusen vom Deutschen Jungendinstitut in München bestätigt den langfristigen Rückgang bei der Jugendkriminalität. Er sieht aber seit dem Ende der Corona-Pandemie teilweise wieder einen Anstieg, insbesondere bei den unter 14-jährigen (externer Link) sowie ein drei- bis vierfach höheres Risiko an Real- und Mittelschulen bei einem „Raufunfall“ verletzt zu werden als an Gymnasien.
Zudem sieht er eine, wenn auch kleine, Gruppe Intensivtäter, die wiederholt straffällig werden. Gerade während der Pandemie, so seine These, hätten viele Kinder nicht gelernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Zudem würde sich bei vielen durch eine „verrohte Sprache“, insbesondere in den sozialen Medien, die Ansicht durchsetzen, „der Stärkere setzt sich durch“. Für sie sei also Gewalt das Mittel der Wahl.
Mit diesen Jugendlichen solle man daher zielgerichtet Schulungen zur gewaltfreien Konfliktbewältigung durchführen, denn diese Präventionsarbeit funktioniere. Seiner Meinung nach habe sie mit dazu beigetragen, dass die Jugendkriminalität generell in den Jahren 2007 bis 2015 so stark abgenommen habe.

