22 Bahnen zieht die von Luna Wedler gespielte Tilda immer wieder im Freibad ihrer kleinen Heimatstadt. Es ist eine der wenigen Auszeiten, die sie hat von den Härten ihres Lebens. 1100 Meter Schwerelosigkeit im Schwimmbecken als Pause von Schuld und Verantwortungsgefühlen.
Hier kann sie buchstäblich ein bisschen abtauchen. Mal nicht über ihren Aushilfsjob an der Supermarktkasse nachdenken. Nicht über ihre schwerst alkoholkranke Mutter und nicht über ihre kleine Schwester Ida, für die sie zur Ersatzmutter geworden ist.
Sommer-Melancholie und Befreiung
Statistik und Wahrscheinlichkeit, das Zählen der Bahnen im Schwimmbecken, ein Mathematikstudium. So trocken sich das für die meisten Menschen anhören mag, all das hat für Tilda eine erlösende Kraft. Eins und eins ist ganz einfach zwei. Um diese Sehnsucht nach Klarheit und Sicherheit geht es in „22 Bahnen“. Und diese Sehnsucht hat gleichzeitig etwas Magisches. Obwohl also fast alles hier erst mal sehr nach realem Sozialdrama klingt: Die junge Frau, die ihre kleine Schwester nicht mit der alkoholkranken Mutter allein lassen will. „22 Bahnen“ ist aber genauso auch ein melancholisches Sommer-, Freibad- und Befreiungsmärchen.
Kaum Bilder für die Welt der Zahlen
Die Hauptrollen in diesem modernen Sozialmärchen sind hochkarätig besetzt. Mit der großartigen Laura Tonke als suchtkranker Mutter, mit Jannis Niewöhner als geheimnisvollem Viktor und Bruder von Tildas vor einigen Jahren tragisch verunglücktem Jugendfreund, mit der tollen Newcomerin Zoë Baier als Ida und natürlich mit Luna Wedler als Tilda, die zwar immer nur für ihre Schwester lebt, aber immer mehr merkt, dass sie auch ihr eigenes Leben beginnen muss.
Diese spezielle Mischung aus Sozialdrama und traurig-schönem Kleinstadtmärchen geht dabei leider aber nicht ganz auf. So findet der Film letztlich doch zu selten Bilder und Momente für die im Titel und von Tilda heraufbeschworene Welt der Zahlen und verlässt sich zu sehr auf eine klassisch erzählte Selbstermächtigungsgeschichte. Schön anzusehen, berührend, aber nicht erschütternd, immer mal wieder sogar amüsant – und kitschfrei, meistens.