Zweieinhalb Jahre Haft für Insolvenzvergehen: eine Strafe, die im deutschen Rechtssystem wohl deutlich geringer ausgefallen wäre. Der ehemalige Tennisprofi kommt nach etwas mehr als sieben Monaten frei – unter der Bedingung, Großbritannien zu verlassen. Über diese Zeit hat Becker ein Buch für einen englischen Verlag geschrieben. Doch es erscheint zuerst hierzulande, und zwar unter dem Titel: „Inside. Gewinnen – Verlieren – Neu beginnen“.
„Kontrolliere die Angst“
Er ist Häftling A2923EV. Zuerst nur diese Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Nicht mehr. Anfangs vermeidet er jeden Blick zu anderen Gefangenen. Dann lernt Boris Becker, wie man sich verhält als Häftling, wie man sich einreiht, wem man aus dem Weg geht, mit wem man sich gut stellt.
„Kontrolliere die Angst. Mach die Schultern breit, zeig Präsenz, so wie man es macht, wenn man als Teenager den Center Court betritt, so wie man es macht, wenn man als Jungspund in der Umkleidekabine von erwachsenen Männern umringt ist, die einen einschüchtern wollen, bevor man raus auf den Platz geht“, heißt es da.
Tiefgründiger als seine Autobiografie mit Mitte 40
Zusammen mit dem britischen Sportjournalisten und Schriftsteller Tom Fordyce hat Becker dieses Buch geschrieben. Sein drittes und sicherlich sein wichtigstes. Und wohl auch das, wofür „der Leimener“ – das Becker-Synonym hierzulande – am meisten Beachtung bekommen wird. Seine Autobiografie mit Mitte 40, „Das Leben ist kein Spiel“, bereute er nach eigener Aussage schon bald. Zu plapperhaft der Inhalt.
Da erzählt er zum Beispiel schwatzhaft vom Zusammenleben mit seiner damaligen Frau Barbara Becker: „Das Haushaltsgeld war meistens schnell aufgebraucht. Und genau dieses Verhalten war immer ein Problem zwischen uns. Wenn ich wieder mal so eine irrsinnig teure Abrechnung in den Händen hielt, sagte ich zu ihr: Barbara, Du hast den Pullover schon in Grün, in Gelb, in Blau und in Rot. Gestreift und gepunktet noch nicht. Muss das denn sein?“
So ist sein neuestes Buch nicht. Becker kann tiefgründiger analysieren, vor allem sich selbst. Nicht nur einmal schreibt er: „Hätte ich nicht mit 17 Jahren Wimbledon gewonnen, wäre all das nicht passiert.“ Die Frage, die über allem steht: „Vielleicht konnte ich ja ein neuer Mensch werden? Ich war eingesperrt, aber genau dadurch konnte ich auf gewisse Weise befreit werden.“
Ein Buch, das zeigt, wie ein Mann reift und begreift
Sein Buch enthält Zuschriften von Fans, die ihn im Gefängnis aufbauen wollen, dazwischen streut Becker immer wieder sogenannte „Zellenträume“ ein: Rückblenden auf Gegner in der Karriere, auf die Fehler, den falschen Menschen zu vertrauen. Fehler, die dazu geführt haben, dass er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Und viele Erinnerungen an Begegnungen mit Mördern, Drogendealern, die zu Schicksalsgenossen wurden.
Nach seiner Freilassung hat Becker wenig in der Öffentlichkeit über die Monate im Gefängnis gesprochen. Nur bei Sat1 gab er ein ausführliches Interview – auch über einen Insassen, der ihn mit dem Tod bedrohte, aber von anderen Häftlingen gezwungen wurde, sich bei Becker zu entschuldigen: „Und ich kam in die Wäscherei und er hat sich zu Boden geworfen, meine Hand geküsst und um Vergebung – und ich hab ihn hochgenommen, umarmt…“ In der Fernsehsendung kommen ihm hier die Tränen, er kann kurz nicht weitersprechen. Dann fährt er fort: „…umarmt und gesagt, dass ich großen Respekt vor ihm habe.“
Auch sein Buch kommt nicht ohne die Momente aus, in denen der ehemalige Champion sich dem Leser weit öffnet, auf seine schwersten Stunden, seine Kämpfe, seine Ängste blicken lässt. Aber es wirkt nicht voyeuristisch. Es ist ein Buch, das zeigt, wie ein Mann reift und begreift. Er sehe sich nicht als Opfer, schreibt er. „Ich habe Fehler gemacht, sogar ziemlich große Fehler. Manchmal war ich naiv, auch richtig kindisch. Und manchmal habe ich mein Leben zu sehr in die Öffentlichkeit getragen.“
Das tut Boris Becker mit „Inside“ nun auch. Aber er ist eben nicht mehr der junge Haudrauf mit Frauengeschichten und finanziellen Fehltritten, sondern ein Mann, der sehr ehrlich davon berichtet, wie er sein wohl schwierigstes Match doch noch gewonnen hat.