Als Papst Leo XIV. vor wenigen Tagen ein Telegramm an die Bischöfe in Amazonien schickte, war das für viele zunächst nur ein weiteres Beispiel vatikanischer Traditionstreue. Doch zwischen den Segensworten stand ein Satz, der aufhorchen ließ: „Ohne Eucharistie kann die Kirche nicht Volk Gottes sein“. Theologen sehen in diesem – zunächst harmlos klingenden Satz – kirchenpolitischen Sprengstoff. Denn ohne genügend Priester müssten Gemeinden gerade im riesigen Amazonasgebiet bereits jetzt teils Jahre ohne Eucharistie auskommen – und das rührt am Kern der Kirche.
Fachkräftemangel zwingt zum Umdenken
Dies sieht auch Pfarrer Rainer Maria Schießler so. Der Münchner Seelsorger ist weit über seine Pfarrei hinaus bekannt, weil er heiße Eisen der Kirche oft direkt und ungeschminkt anspricht. In der Abendschau des BR sagte er: „Der Fachkräftemangel bringt auf jeden Fall ein neues Denken.“ Die Zeiten hätten sich geändert, so der Pfarrer. „Wir leben und definieren Glaube und Kirche heute anders. Und so etwas Selbstverständliches, wie einen Pflichtzölibat, gibt es heute einfach nicht mehr.“ Er ist überzeugt: Die Realität zwinge die Kirche dazu, den Pflichtzölibat zu überdenken.
Schießler verweist auf den Kurswechsel, den Leo XIV. einleiten könnte. Dabei knüpfe er an seinen Vorgänger Franziskus an, der schon bei der Amazonas-Synode 2019 die Bischöfe um Vorschläge bat, dem akuten Priestermangel entgegenzuwirken. Der Pastoraltheologe Paul Zulehner habe dafür ein Bild geprägt, das Schießler aufgriff: „Franziskus war der Edelstein, und Leo ist der Juwelier.“ Leo XIV., so Schießler, hebe die Frage nicht nur auf eine praktische, sondern auf eine theologische Ebene: Die Eucharistie sei „der Kernpunkt von Kirche“ – und diesen dürfe man nicht einem Kirchengesetz opfern.
Experiment Amazonien – Modell für die Welt?
Für Schießler liegt die Lösung auf der Hand: „Geht es nicht, dass wir nicht nur in Einzelfällen, sondern in größeren Gebieten, verheiratete Männer vom Weihehindernis der Ehe dispensieren und sagen: Wir weihen euch zu Priestern. Dann können wir die Gemeinden wieder versorgen.“ Dass dies zunächst auf Regionen wie den Amazonas beschränkt bleibt, sieht er als mögliches Modell: ein Experiment dort, wo der Priestermangel besonders akut ist.
Doch auch Europa könnte sich bald anschließen. „Noch haben wir keine Notsituation, wir können es irgendwie mit älteren Priestern auffangen, aber irgendwann müssen wir uns auch diesem Weg öffnen“, sagt Schießler. Er ist überzeugt, dass viele Gläubige den Wandel mittragen würden: „Warum sollen wir die Eucharistie verlieren, wo es doch so viele gute, berufene Leute gibt?“
Angst vor dem Aussterben der Ehelosen?
Das größte Hindernis sei für die Amtskirche bislang die Furcht, dass die Zulassung verheirateter Priester das Ende des Zölibatspriesters bedeute. Schießler widerspricht: „Aus dem Pflichtzölibat darf keine Pflicht-Ehe werden. Wir müssen einen zweispurigen Weg schaffen, wo es völlig normal ist, dass manche unverheiratet diesen Dienst vollziehen und andere als verheiratete Männer bereitstehen.“ Genau das könne der Kirche neue Glaubwürdigkeit geben. „Ehe und Familie sind doch keine Sünde!“, betont Schießler.
Eine wachsende Debatte
Damit fügt Schießler der laufenden Diskussion eine weitere prominente Stimme hinzu. Schon der frühere Universitätsprofessor Zulehner hatte vorgeschlagen, dass das Modell neuer Priesterformen „den eucharistischen Hunger“ der Gemeinden stillen könne. Und Kirchenrechtler Thomas Schüller warnte, ohne mutige Schritte „geht die katholische Kirche vor die Hunde“.
Ob Leo XIV. tatsächlich einen konkreten Schritt wagt, bleibt offen. Doch die Stimmen mehren sich, die ein Festhalten am Pflichtzölibat für riskanter halten als seine vorsichtige Öffnung. Die Debatte darüber hat nach dem Amazonas-Telegramm wieder an Fahrt aufgenommen.
Im Audio: Papst schickt Telegramm an Bischöfe: Wackelt der Zölibat?