Wie steht es um die Lage der Minderheiten im Land?
Eine der großen Fragen, die die Schriftstellerin beschäftigt: wie begegnen die Islamisten den Angehörigen der verschiedenen Minderheiten in Syrien, darunter Jesiden, Alewiten, Drusen? Sie könne sich nicht vorstellen, dass es unter der Herrschaft der Islamisten für diese Gruppe eine Zukunft geben kann. „Als ich in den kurdischen Gebieten war, habe ich einen Freund von meinem Onkel getroffen, der Alewit ist. Von der Küstenregion ist er dorthin geflohen.“
Im März dieses Jahres kam es im Westen Syriens zu Massakern an den Alewiten. Einheiten der Milizen, die Al-Dscholanis Regierung nahe stehen bzw. zu ihr gehören, waren daran beteiligt. Ronya Othmann schreibt von bis zu 1.500 ermordeten Menschen.
Die schwierige Situation der Jesiden
Im April fuhr sie noch einmal zusammen mit dem Vater nach Syrien, dieses Mal in den Nordosten, in die Region, in der unter anderem die jesidischen Kurden leben – und damit Verwandte. Es gebe dort nicht mehr viele Angehörige der Jesiden, nach dem Genozid durch den IS. „Für die Jesiden ist klar: Unter einem islamistischen Regime gibt es für sie keine Zukunft. Unsere Verwandten und auch viele Jesiden, die wir kennen aus Nordost-Syrien, werden nicht dorthin zurückkehren. Unter Islamisten werden sie nicht leben.“
Ronya Othmann fuhr unter anderem nach Rakka, in die Stadt, die der selbst ernannte „Islamische Staat“ einst zum Zentrum seines Terror-Kalifats erklärte. Ebenso zum Camp Al Hol, einem riesigen Gefangenenlager für Angehörige des IS – ein Ort, um den sich die Internationale Gemeinschaft aufgrund der vielen ausländischen Gefangenen dringend kümmern müsste. Ebenso besuchte die Schriftstellerin Angehörige der kurdischen Einheiten, die die Selbstverwaltung im Nordosten organisieren.
Der Eindruck von Skepsis und Ungewissheit überwiegt
Die Reisen in zwei unterschiedliche Regionen bieten auch Gelegenheit für einen Vergleich. Für Ronya Othman ein Unterschied wie Tag und Nacht. „In Idlib zum Beispiel habe ich keine einzige Frau unverschleiert auf der Straße gesehen. Die meisten Frauen mit Nikab, dazu Geschlechtertrennung. Überall islamistische Banner. Sogar IS-Zeichen haben wir gesehen.“ Keine guten Aussichten: ein islamistischer Staat ist kein freies und demokratisches Land, auch wird in diesem Fall eine weitere Unterdrückung der Minderheiten befürchtet.
Momente der Hoffnung gab es auch während der Reisen von Ronya Othmann nach Syrien. Es waren freilich kleine Augenblicke, Begegnungen mit Menschen, denen anzumerken ist, wie froh sie sind, dass das brutale Assad-Regime Geschichte ist. Dennoch überwiegt in Ronya Othmanns wichtigem Buch der Eindruck einer großen Skepsis und Ungewissheit. Syrien bräuchte eigentlich eine umfangreiche internationale Unterstützung und auch Begleitung – und das nicht nur, weil heute schätzungsweise 90 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Sondern, damit das Land wirklich Freiheit finden kann.
Ronya Othmanns Buch „Rückkehr nach Syrien. Eine Reise durch ein ungewisses Land“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen.