„Unnervös“ kann man in so einen Abend nicht gehen. Was wird Kroetz aus dem Lieblingsstück so vieler Bayern machen? Zunächst Erleichterung: das erste Bühnenbild ist ein riesiger, bemalter Bauernschrank. Auf den zwei Türen eine bayerische Berglandschaft mit Kühen. Für jede neue Szene öffnet sich der Schrank. Der Brandner lebt alleine mit seiner Enkelin Josefa, dem Seferl, steigt auf den Berg, Wachsjacke, Hut, Gewehr. Die Enkelin in kurzer Hose und mit Bergschuhen, der Opa schnauft.
Günter Maria Halmer spielt das 75-jährige, hochgewachsene Mannsbild, so echt, so renitent, so widerwillig am Altern scheiternd, wie man es von manchen Männern im wahren Leben kennt, eins zu eins: „Ois zwoamoi macha derfa im Leben, oamoi den Fehler und oamoi danach. Muasst raus aus dera buckligen Welt.“
Ein Boandlkramer wie aus Tarantinos „Reservoir Dogs“
Der Boandlkramer, der Tod persönlich, ist ihm nämlich schon auf den Fersen, oben auf dem Berg. Er trägt schwarzen Anzug und Krawatte, lange Haare, Schnurrbart, könnte in Tarantinos „Reservoir Dogs“ mitspielen. Nur ist er nicht wirklich cool, sondern eher unkonzentriert, und er scheint ein ordentliches Alkoholproblem zu haben. Das macht ihm seinen Job nicht gerade leichter: „Schick i a Kreizotter, tritt der Foische drauf – und die Improvisation is a danem ganga, muass i an Hausbsuach macha, sonst wird des nix.“
Günter Maria Halmers Spiel rührt das Publikum zu Tränen
Ein erster Höhepunkt, wie maximal beklemmend der lange zurückliegende Tod von Brandners Frau rekapituliert wird. Danach hat der Brandner moralisch Oberwasser und haut den bereitwillig trinkenden Boandl ziemlich einfach übers Ohr. Und gewinnt 14 Jahre zusätzlicher Lebenszeit. Aber wie alle Kenner des Stoffes wissen: die sind bitterlichst erkauft. Statt seiner stirbt das geliebte Enkelkind, auf der Alm vom Stier zertrampelt. Günter Maria Halmer, der eh brilliert, spielt den trauernden Großvater so anrührend, dass nicht wenige im Publikum mitschluchzen.
Umso einfacher hat es jetzt der Boandl bei seinem zweiten Erscheinen, ihn doch zu überreden, dass er zumindest mal reinschaut ins Jenseits. Mindestens fantastisch: die Himmelfahrt, einträchtig sitzen die zwei auf dem Bett vom Brandner, fliegen durch Himmel, Ozeane, Hölle und wieder nach oben. Ein psychedelischer Bilderrausch, bei dem der Brander nur ganz kurz renitent wird.
Ein modernes, aber wahnsinnig saftiges Volksstück
Kroetz hat tatsächlich ein modernes, aber wahnsinnig saftiges Volksstück geschrieben, nicht so dialogverliebt wie einst Kurt Wilhelm, trotzdem in jeder Sekunde packend. (Als kurz die verlorene Tochter auftaucht, zitiert er seine eigenen Sozialdramen der 70er Jahre: Sprachlosigkeit und Zerrüttung, über den Grund kann man nur spekulieren.) Sogar der von Kroetz eigentlich ungeliebte Wilhelm wird zitiert, außerdem Polt, Helmut Dietl – es ist eine Freude.
Und Regisseur Philipp Stölzl setzt getreulich um, was sich Kroetz in der Textfassung ausdrücklich wünscht: ein großes Bilderbuch. Stehender Jubel!