Tarotkarten sind Brittas Leidenschaft. Die 37-jährige Münchnerin ist als spirituelle Lebensberaterin tätig. Spiritualität und auch die Tarot-Karten spielten in der Familie ihrer Mutter, die aus Peru stammt, schon immer eine große Rolle. Als 18-Jährige ließ Britta sich zum ersten Mal von einer Kollegin die Karten legen – und da hieß es: „Du wirst ein Geheimnis über dich erfahren.“ Britta erzählt ihrer Mutter davon. Die reagiert zunächst gar nicht darauf. Aber dann, ein Jahr später, macht sie der Tochter ein Geständnis: Du bist durch eine Samenspende entstanden.
Der andere Mann
Brittas Mutter Beatriz kommt mit 25 Jahren aus Peru nach Deutschland. Sie verliebt sich, heiratet, wünscht sich Kinder. Doch ihr Mann ist unfruchtbar. In den 1980er-Jahren ist das ein Tabuthema. Das Paar entscheidet sich für eine anonyme Samenspende. Die behandelnden Ärzte raten den angehenden Eltern, die Sache für sich zu behalten. Britta kommt zur Welt. Als sie vier Jahre alt ist, lässt ihr sozialer Vater die kleine Familie sitzen, Hals über Kopf. Auch dessen Familie bricht den Kontakt zu Britta und ihrer Mutter ab. „Er kam nicht zurecht mit dem Familiengeheimnis“, vermutet sie heute.
Als Britta im Alter von 19 Jahren erfährt, wie sie gezeugt wurde, fällt sie in ein tiefes Loch, hat eine Identitätskrise, wie sie sagt: „Ich hab mich im Spiegel angeschaut und dachte: Diese blonden Haare, die können gar nicht von dem Mann kommen, von dem Du immer dachtest, dass sie kommen. Sie kommen von einem anderen Mann.“ Aber von welchem?
Spenderkinder haben Recht auf Information
In Deutschland gibt es laut Schätzungen 100.000 Menschen, die mit Hilfe einer Samenspende gezeugt wurden. Die meisten, die wie Britta vor 2018 geboren wurden, wissen nicht, wer ihr biologischer Vater ist. Denn erst seit dem 1. Juli 2018 müssen Spender zentral im bundesweiten Samenspender-Register des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte registriert werden. Dort werden ihre personenbezogene Daten gespeichert. Spenderkinder können diese Daten ab dem Alter von 16 Jahren selbst anfordern. Davor ist das durch ihre gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter, meistens die Eltern, möglich. Denn jeder Mensch hat das Recht zu erfahren, von wem er abstammt.
Ist ihr biologischer Vater der Mann aus dem Fernsehen?
Doch genau dieses Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wurde vor 2018 von Samenbanken, Ärzten und Kinderwunschzentren weitgehend ignoriert. Sie sicherten Spendern Anonymität zu oder bewahrten deren Daten nicht lange genug auf. Praxen geben an, aus der Zeit vor 2018 oft keine Informationen vorliegen zu haben. Und das, obwohl eine Richtlinie der Ärztekammer bereits seit 2006 eine Aufbewahrungspflicht von 30 Jahren empfahl.
Spenderkinder kritisieren heute, dass viele behandelnden Ärzte ihrer Verantwortung nicht nachkamen – was für die betroffenen Kinder mitunter lebenslange Folgen hat: „Du realisierst, dass du die Nadel im Heuhaufen nicht mehr finden wirst“, sagt Britta.
Aber dann, gut zehn Jahre später, erfährt sie von dem Verein Spenderkinder. Er versteht sich als Anlaufstelle für Betroffene, möchte öffentlich über das Thema aufklären und gibt Tipps, wie man sich trotz fehlender Arztunterlagen auf Herkunftssuche machen kann – etwa mit Hilfe von DNA-Datenbanken. Auch Britta macht sich 2019 per DNA-Test auf die Suche, in der Hoffnung mögliche Halbgeschwister zu finden. Durch einen Hinweis des Vereins Spenderkinder sieht sie eine WDR-Doku über Samenspenden. Einer der Spender, der in der Doku vorkommt, sieht ihr verdächtig ähnlich. Sie hat da so ein Gefühl.
Der Sechser im Lotto mit Zusatzzahl
Drei Wochen später bekommt Britta eine E-Mail von der DNA-Datenbank: Es gibt ein Match mit einem ehemaligen Spender, der ebenfalls seine DNA hinterlegt hat. Britta hat ihren biologischen Vater gefunden. Und völlig unglaublich: Es ist der Mann, den sie in der Dokumentation gesehen hatte. Kurz darauf treffen sie sich zum ersten Mal.
„Das war einfach ein so unglaublich krasser Tag, als wir dann aufeinander zugelaufen sind. Das hat sich so ein bisschen angefühlt wie in diesen Sendungen, wo Leute irgendwelche Angehörigen suchen“, sagt Britta. „Ich sah meinen Vater auf mich zukommen und dachte: Das ist jetzt nicht wahr, was da passiert. Das ist ja ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl.“
Heute hat Britta regelmäßig Kontakt zu ihrem leiblichen Vater und ihren drei Halbbrüdern aus dessen Ehe. Außerdem engagiert sie sich im Verein Spenderkinder und möchte anderen Familien Mut machen, offen mit dem Thema Samenspende umzugehen und die Chancen darin zu sehen.

