Freitagabend. Durch zwei eher unscheinbare Holztüren strömt das Konzertpublikum in den Bibliotheksaal des ehemaligen Klosters Polling (externer Link). Das renommierte Merlin-Ensemble spielt an diesem Abend Vivaldis Vier Jahreszeiten. An der Treppe zum Saal begrüßt Hanne Wittermann strahlend das Publikum, beantwortet Fragen und organisiert Sitzplätze. Sie ist die Vorsitzende des Vereins Freunde des Pollinger Bibliotheksaals e.V. und ist auch nach 50 Jahren immer glücklich, wenn sich der Saal füllt: „Und mein Schwiegervater, der dieses Gebäude vor dem Verfall gerettet und eine Bürgerinitiative losgetreten hat, wäre es auch!“
„Kathedrale der Musik“
Im Saal genießt das Publikum die besondere Atmosphäre eines der schönsten Rokoko-Säle in Bayern: Getragen von zehn Säulen spannt sich das Gewölbe mit kunstvollen Deckenfresken von Johann Baptist Baader (1717-1780) über den Raum, der nur maßvoll mit Gold und Stuck dekoriert, dafür aber in alle Richtungen von Licht durchflutet ist. „Der Saal ist eigentlich wie eine Kathedrale“, sagt ein Besucher. „Eine Kathedrale der Musik.“
Vom geistigen Zentrum zur Ruine
Mitte des 18. Jahrhunderts standen hier rund 80.000 Bücher. Die Bibliothek der Augustiner Chorherren in Polling war die zweitgrößte in Bayern. Mit der Säkularisation 1803 fand eines der großen geistigen Zentren ein jähes Ende: Das Kloster wurde geschlossen und die Bücher verkauft. Der Bibliotheksaal verfiel zur Abstellkammer. „Er war in einem erbärmlichen Zustand“, erinnert sich Wittermann. „Die Böden waren herausgebrochen, die Türen ausgehängt, alles war verdreckt und voll mit alten Fässern und Holzstapeln.“ Die Balustrade war mit Eisenstangen abgestützt, um nicht vollends herunterzubrechen.
Mit Spenden zu neuem Glanz
1971 wurde der Pollinger Kinderarzt Ernst Wittermann auf den Saal aufmerksam und war sofort begeistert. Zusammen mit Bürgern gründete er einen Verein und sammelte Spenden. Sagenhafte 600.000 Mark kamen so zusammen und der Verein begann zu sanieren – aber immer nur so weit wie das Geld reichte. Von diesem Engagement war schließlich auch das Landesamt für Denkmalpflege so beeindruckt, dass es noch 500.000 DM dazu gab. Nach nur drei Jahren war der Saal fertig und wurde 1975 feierlich eröffnet.
Jonas Kaufmann live aus Polling in New York
Was im Bibliothekssaal genau stattfinden sollte, wurde dem Verein Freunde des Pollinger Bibliotheksaals e.V. erst klar, als er dort das erste Konzert veranstaltete. Der Saal offenbarte eine sagenhafte Akustik, die sich in der Klassikszene herumsprach und seitdem Stars aus der ganzen Welt in die 3.600-Seelen-Gemeinde in Oberbayern lockt. Star-Tenor Jonas Kaufmann etwa streamte während der Corona-Pandemie 2020 aus dem Pollinger Bibliothekssaal ein Konzert live in die Metropolitan-Opera nach New York.
Internationale Stars schätzen einzigartige Konzert-Atmosphäre
Die Gästebücher, die der Verein seit den ersten Konzerten führt, lesen sich wie das Who’s who der internationalen Klassikszene wie Karl Richter, Alfred Brendel, Anne-Sophie Mutter, Yehudi Menuhin, Carl Orff, Kit Armstrong und Hélène Grimaud. Die Liste ist lang und enthält auch ein Knollennasen-Männchen von Loriot, dazu viele herzenswarme Zeilen voll des Dankes und der Begeisterung über die einzigartige Konzert-Atmosphäre. „Polling hat Intimität“, sagt Martin Walch, Soloviolinist und der Leiter des Wiener Merlin-Ensembles. „Im Gegensatz zu den großen Konzertsälen sieht man die Gesichter des Publikums und spürt seine Stimmung. Dazu kommt noch die besondere Geschichte des Saals, die inspiriert und Freude macht.“
Zum Audio: Weltweit gefragter Konzertsaal in Polling