Zwei Mädchen im „I Love Shawn Mendes“-Shirt sind den Tränen nahe. Gerade wollten sie in den Stehbereich vom Olympiastadion, um ihr Idol zu sehen. Doch am Einlass geht nicht mehr. Wegen Überfüllung geschlossen. Die beiden Mädchen stürmen aus der Schlange, in der Hoffnung noch auf den Rängen einen Platz zu finden.
Es ist Sonntag, 18.50 Uhr. Der Moment des Tages. Der Künstler, auf den die meisten hier gewartet haben, kommt auf die Bühne: Schmacht-Song-„Stitches“-Sänger Shawn Mendes aus Kanada. Als der erste Akkord erklingt, stehen noch Hunderte vor den Rängen, drängen, schlängeln sich an Flatterbändern und Securitys vorbei, um so schnell wie möglich zur Bühne zu kommen. Kurzzeitig Chaos im Olympiastadion – während des sonst so friedlichen Superbloom-Festivals. „Cooles Festival, aber die Organisation ist grottig – wie im letzten Jahr“, schimpft ein Besucher aus dem Gedränge. In der ersten Reihe dagegen Freudentränen: Einige warteten seit vier Stunden auf Mendes. Das warten hat ein Ende.
Pop-Woodstock mit Sponsoren und VIP-Klo
Das Konzept des Superbloom: ein kommerzialisiertes Pop-Woodstock, überall Plakate, irgendwo zwischen weißem-blauem Himmel und Pril-Blume. Ein Hauch Flower-Power fürs 21. Jahrhundert. Neben großen Musikern wie 2000er-Stimme Nelly Furtado, „Take Me to Church“-Soulsänger Hozier und den Augsburger Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys gibt es ein buntes Rahmenprogramm zwischen Kakao-Zeremonie, Lesungen und Detox-Yoga. Wohl zur Refinanzierung haben auch große Marken Stände: Die Techniker Krankenkasse bietet Karaoke an, die Edel-Mode- und Kosmetikmarke Yves Saint Laurent eine Fotostation, und im Alu-Campinganhänger von Schnäppchen-Kaufhaus TK Maxx gibt’s Glitzer auf die Haut und süße Festival-Flechtfrisuren auf den Kopf.
Dazu passend: drei unterschiedliche Ticketkategorien. An der Spitze die Super-Comfort-Pauschale für 449 Euro fürs Wochenende – Getränke inklusive und gesonderte Zugänge. „Allein fürs stille Örtchen hat es sich gelohnt – kein Dixiklo!“, witzelt ein Gast mit VIP-Bändchen.
Ein Abschied vom Olympiastadion
Bei so viel Reizüberflutung kann man kurz vergessen, dass dieser Sonntag auch ein trauriger Tag ist – zumindest für all jene, die im Stadion und auf dem Olympiaberg schon gelauscht, getanzt und gegrölt haben. Denn Münchens ikonische Open-Air-Bühne schließt für zwei Jahre. Nach 53 Jahren wird das Olympiastadion umfangreich saniert. Erste Veranstaltungen können laut der Olympiapark-Verwaltung erst wieder 2028 stattfinden.
Wie vielen Gästen bewusst ist, dass Münchens Sommer kommendes Jahr keinen Höhepunkt im Stadion haben wird – unklar. Trotzdem feiern viele, als wäre es ihr letzter Abend. Handylichter-Gewinke für Hozier – der Ire hatte mit „Too Sweet“ nochmal Jahre nach seinem kirchenkritischen „Take Me to Church“ einen TikTok-Hit gelandet. Auf der Bühne zeigt er sich politisch. Vor seinem Song spricht er die humanitäre Krise im Gazastreifen an und sagt: „Jeder hat eine Stimme – nutzt sie für Dinge, die euch wichtig sind.“ Am Ende verabschiedet sich Hozier mit den Worten „Free Palestine“.
Finale mit Tiësto und Queen-Hymne
Zum Schluss übernimmt Tiësto. Der 56-jährige DJ-Veteran betritt die Bühne des Stadions mit der Queen-Hymne „Bohemian Rhapsody“ – vielleicht ein stiller Gruß an Freddie Mercury, der hier in München viel Zeit verbracht hat. Dann pumpt der Bass durchs Stadion, nicht nur im Stehbereich, auch auf den Rängen wird getanzt. Ein letztes Mal Applaus fürs Olympiastadion.
Wie geht’s 2026 weiter?
Ob und wie das Superbloom im kommenden Jahr stattfindet, darüber will sich das Festival-Management noch nicht äußern. Für die Mega-Sommerkonzerte in den kommenden zwei Jahren steht die Allianz Arena bereit. Die hatte vor wenigen Monaten schon mit Guns N’ Roses einen Aufschlag gemacht. Ob der Reifen der Bayern das Zeltdach gebührend vertreten kann? Nächstes Jahr wissen wir’s.