Komponist Arvo Pärt wird 90
Der Heilige der zeitgenössischen Musik
Der Heilige der zeitgenössischen Musik
Arvo Pärt hat die zeitgenössische Musik entscheidend geprägt. Die oft meditativen Werke des Esten werden häufig aufgeführt – öfter wohl als die Musik irgendeines anderen lebenden Komponisten. Am 11. September wird er 90 Jahre alt. Ein BR-KLASSIK-Porträt.
Bildquelle: picture alliance / dpa | Franck Robichon
„Alle Musik ist geistlich. Alles, was es in der Welt gibt. Nur der Geist ist verschieden“, hat Arvo Pärt einmal im BR-KLASSIK-Interview gesagt. Schon dieser Satz zeigt, dass Arvo Pärt Musik nicht als bloße Kunst versteht, sondern als Ausdruck des Spirituellen. Er wirkt manchmal weltabgewandt, wie ein Pilger, wie ein Mönch: mit seiner hageren Figur, seiner hohen Stirn, seinem Rauschebart.
Arvo Pärt spricht langsam, leise, stockend. Jedes seiner Worte scheint der Stille abgetrotzt. Genauso wie seine Musik. „Ich habe nach etwas gesucht, eine Sehnsucht gehabt. Ich wusste nicht: Wo ist das? Was ist das? Aber ich wusste, dass es so etwas gibt, was ich suche.“
Politische Kritik des estnischen Komponisten
Komponist Arvo Pärt bei der Arbeit | Bildquelle: Roberto Masotti / ECM Records
Doch obwohl jeder Takt, den Arvo Pärt schreibt, eine tiefe Spiritualität atmet, ist er nicht weltfremd. Als die kremlkritische Journalistin Anna Politkowskaja ermordet wurde, hat ihr Pärt ein Jahr lang alle Aufführungen seiner Werke gewidmet, und seine Vierte Symphonie komponierte er zu Ehren des russischen Dissidenten Michail Chodorkowski. Schon lange vor Putins Angriff auf die Ukraine hat er im BR-KLASSIK-Gespräch mit Bernhard Neuhoff deutliche Worte gefunden: „Ich glaube, die heutige Führung von Russland hat überhaupt keine Angst. Die haben vor niemandem Angst. Es gibt nur einen Diktator, und was er sagt, das wird sofort erfüllt. Es gibt kein Rechtssystem. Sie können absolut alles machen. Und das Volk ist manipulierbar, wie zu Hitlers Zeiten auch, leider, überall in der Welt.“
Sonderprogramm auf BR-KLASSIK zum 90. Geburtstag von Arvo Pärt
Im Rahmen des ARD Radiofestivals hören Sie am 11. September 2025 ab 20:03 Uhr Werke von Arvo Pärt, im Rahmen des Lausitz Festivals 2025, mit dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor und Concerto Copenhagen.
Am Samstag, den 13. September, hören Sie ab 11:05 Uhr die Sendung „Meine Musik“ mit Ausschnitten aus Bernhard Neuhoffs Interview mit Arvo Pärt.
Ab 14:05 Uhr hören Sie Gidon Kremer im Gespräch über den Komponisten in der Sondersendung „Spiegel im Spiegel“.
Außerdem widmet sich „Das starke Stück“ am 16. September ab 19:03 Uhr ganz der Musik Arvo Pärts.
Der Lebensweg von Arvo Pärt
Arvo Pärt, der Heilige der zeitgenössischen Musik: So jedenfalls wird er in der Öffentlichkeit gern inszeniert. Freilich hat auch er einen steinigen Weg hinter sich. Geboren wurde die heutige Symbolfigur orthodoxer Spiritualität in der Zeit des Stalinismus in eine evangelische Familie. Am Konservatorium von Tallinn, wo er studierte, gehörte die „Wissenschaft des Atheismus“ zu den Pflicht-Unterrichtsfächern. Pärt rebellierte, flirtete mit dem westlichen Serialismus, komponierte wüste Collagen.
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BR-KLASSIK: And I heard a voice
Eine Widmung an Arvo Pärt
Aufführungsverbot in der Sowjetunion
1968 wurde seine Komposition „Credo“ nach der Uraufführung in der Sowjetunion mit einem Aufführungsverbot belegt. Pärt spürte, dass er in eine Sackgasse geraten war, hörte auf zu komponieren, verstummte. „Eines Tages, in den 1970er Jahren, stand ich vor unserem Haus an einer Bushaltestelle, und ein Straßenfeger war dort“, erinnert sich der Komponist im BR-KLASSIK-Interview. „Ich ging zu ihm und fragte: Wie soll ein Komponist Musik schreiben? Er hat auf mich geschaut und gesagt: ‚Ja, was könnte das sein? Vielleicht muss man jeden einzelnen Ton lieben.'“
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Filmtipp: „That Pärt Feeling“
Aus zum Schweigen zur eigenen Klangsprache
Komponist Arvo Pärt wird am 11. September 90 Jahre alt. | Bildquelle: Universal Edition / Eric Marinitsch
Aus der Krise, dem Schweigen, aber auch dem intensiven Studium der Gregorianik und der Renaissance-Polyphonie erwuchs eine Musik, die völlig neu war, aber so klang, als hätte es sie schon immer gegeben. „Tintinnabuli-Stil“, also Glöckchen-Stil, hat Pärt seine Methode getauft. Sie wirkt meditativ, intuitiv, manchmal sogar simpel, und doch schnurrt im Hintergrund ein Uhrwerk aus strengen, selbstauferlegten Kompositionsregeln ab, die Pärts Musik vor jeder Banalität bewahrt. Als der Welterfolg kam und die Methode zur Masche zu werden drohte, hat Pärt Gegenstrategien ergriffen, hat seine Musik zum Dramatischen hin geöffnet, ins Opulente geweitet, manchmal in ein dezent neoromantisches Gewand gekleidet. Und doch zählen die reduzierten Partituren der klassischen „Tintinnabuli“-Periode, wie „Fratres“, „Spiegel im Spiegel“ und auch die „Johannespassion“, bis heute zu Pärts kraftvollsten Werken. Weil in ihnen die Kunst der Beschränkung der Schlüssel ist zur Unendlichkeit. Ein Thema, das dem spirituellen Komponisten Arvo Pärt sehr wichtig ist: „Eines Tages, wenn wir vor Gottes Gericht stehen, wissen wir nichts. Und unser ganzes Wissen zählt nichts. Es zählt vielleicht nur, wie wir gelebt haben. Oder kürzer gesagt: Haben wir geliebt?“
OPUS KLASSIK für das Lebenswerk
Eine Art Geburtstagsgeschenk bekommt Arvo Pärt schon vorab. Wie am Dienstag bekannt wurde, wird Arvo Pärt dieses Jahr neben Dirigentin Joana Mallwitz und Mezzosopranistin Emily D’Angelo mit dem OPUS KLASSIK 2025 ausgezeichnet. Der Komponist erhält den Preis am 12. Oktober für sein Lebenswerk. Dazu heißt es vonseiten der Veranstalter: „Mit seiner unverwechselbaren Tonsprache hat Arvo Pärt die Musikgeschichte seit den 1960er-Jahren entscheidend geprägt. Sein 1976 entwickeltes ‚Tintinnabuli‘-Verfahren eröffnete einen völlig neuen Klangkosmos, der Millionen Menschen weltweit berührt.“
Eines Tages, wenn wir vor Gottes Gericht stehen, wissen wir nichts.
Arvo Pärt
Die Inhalte dieses Artikels stammen von Thorsten Preuß, Bernhard Neuhoff und René Gröger.
Sendung: „Leporello“ am 11. September 2025 ab 16:03 Uhr auf BR-KLASSIK