Um nicht in dieselbe Falle zu tappen wie der Film, um den es hier gehen soll, ziehen wir die Sache nicht unnötig in die Länge: Der zweite Teil von „Wicked“, diesem Spin-Off des „Zauberers von Oz“, ist nicht halb so gut wie der erste. Das klingt zwar drastisch, hat aber seine Gründe.
Wer im ersten Teil nicht geheult hat, hat kein Herz
Springen wir nochmal zurück in der Zeit: in den Dezember vergangenen Jahres, um genau zu sein. Damals endete der erste Teil von „Wicked“ in einer fantastischen Szene: Elphaba (Cynthia Erivo), die (in echt natürlich gar nicht) böse Hexe des Westens, schlägt das Angebot des Zauberers aus, an seiner Seite über Oz zu herrschen und das ganze Land in einen faschistischen Überwachungsstaat zu verwandeln. Sie entsagt der Macht und schließt sich dem Widerstand an. Und dabei singt sie auch noch die bis dato schönste Version des bedeutendsten Musical-Songs dieses Jahrtausends, „Defying Gravity“. Wer da im Kino nicht geheult hat, hat kein Herz. Genauso wie der Blechmann aus dem Original-„Wizard of Oz“ von 1939.
Im zweiten Teil werden die Karten neu gemischt
Der zweite Teil setzt nun ein paar Monate nach dem Ende des ersten ein: Elphaba ist inzwischen Staatsfeindin Nr.1 und versucht die Einwohner von Oz davon zu überzeugen, dass der Zauberer ein Scharlatan ist. Außerdem will sie die Tiere retten, die in Oz auf einmal behandelt werden wie in unserer Welt, also schrecklich.
Ihre gerade noch beste Freundin Glinda ist derweil zur nützlichen Idiotin des Regimes geworden. Ihr Job besteht hauptsächlich darin, von dem Abschiebeterror abzulenken, der sich auf den Straßen, beziehungsweise Tulpenfeldern von Oz, in bester Trump’scher ICE-Behördenmanier vollzieht.
Dass Glinda, die zauberhaft von Ariana Grande gespielt wird, da mitmacht, obwohl sie weiß, wie böse und falsch die Staatspropaganda gegen Elphaba ist, und obwohl sie mit eigenen Augen gesehen hat, was für ein Waschlappen der Zauberer ist, erklärt der Film in Rückblenden. Wir lernen: Sie kann nicht anders. Ein Kindheitstrauma hat aus Glinda einen Bonbon-rosafarbenen-alltime-People Pleaser gemacht.
… und man versteht nur noch Bahnhof
Das gefällt allen, nur nicht ihrem Auserwählten, dem schneidigen Prinz Fiyero (mit viel Pathos: Jonathan Bailey). Der erwidert ihre Liebe nicht, sein Herz gehört nämlich längst Elphaba. Und was für eine romantische Nacht hätte man den beiden gewünscht – doch Baileys und Erivos Chemie gibt das nicht wirklich her. Und noch schlimmer: Den beiden fehlen wirklich gute Songs. So eingängig wie „Defying Gravity“ ist jedenfalls nichts, was die beiden singen dürfen.
Dass Regisseur Jon M. Chu nicht hexen kann, ist klar. Auch in der Broadway Version lässt „Wicked“ ab der Hälfte nach, die besten Songs sind dann gesungen, die schönsten Geschichten erzählt. Trotzdem: Sollte man sich nicht ein wenig Mühe geben, Plot-technische als auch charakterliche U-Turns zu erläutern? Glinda erkennt zwar das der Zauberer böse ist, trotzdem spielt sie weiter mit. People Pleaser schön und gut, aber nicht jede Erklärung ist auch eine gute Erklärung.
Auf der Bühne dauert das Musical insgesamt zwei Stunden 45. Beide Filme zusammen ergeben fünf Stunden. Wirtschaftlich gesehen ergibt das Sinn: 750 Millionen Dollar hat allein der erste Teil eingespielt. Aber um nicht gleich einzustimmen in das langweilige „alles nur Kommerz“-Geheule: Etwas Gutes hat die Zweiteilung ganz sicher. Immerhin ein richtig toller „Wicked“-Film ist entstanden. Der zweite ist offenbar der Preis dafür.

