Riecht ziemlich streng nach Satire, wenn jemand von einem Städtetrip nach Paris träumt, um dort nächtelang die Kanalisation zu besichtigen und es sich ansonsten im schlechtesten Hotel der Stadt bei Schimmel und Kakerlaken gemütlich zu machen. Aber natürlich gönnt das Publikum dieses befremdliche Vergnügen der „Addams Family“ von ganzem Herzen. Ja, alles ist anders in diesem so vergnüglichen wie makabren Musical, das 2009 in Chicago uraufgeführt wurde und auf der gleichnamigen TV-Serie aus den sechziger Jahren beruht, die sich über die „normale“ amerikanische Kleinbürgergesellschaft lustig machte, indem sie deren spießbürgerliche Sehnsüchte ins krasse Gegenteil verkehrte.
Mama Morticia reißt allen Blumen ihre Blüten ab und stellt nur die Stängel in die Vase, Sohn Pugsley lässt sich von seiner älteren Schwester Wednesday gern auf der Streckbank quälen, Oma schiebt Giftmischungen durch die Wohnung und Papa Gomez tanzt leidenschaftlich gern mit der toten Verwandtschaft auf deren Gräbern. Sie alle scheuen das Licht, lieben Friedhöfe, rattenverseuchte Schlossgräben und Intensivstationen, auf denen bekanntlich in kürzeren Abständen gestorben wird.
Der Apfelschuss geht anders aus
Das Skurrile und Amüsante an all diesen morbiden Neigungen: Die „Addams Family“ ist dabei letztlich genauso bieder, zerstritten und liebenswert wie jede andere Familie. Im tiefsten Herzen will sie eigentlich nur „unglücklich“ sein, was ihr am Ende auch leidlich gelingt. Und das Schönste dabei: Die anfangs schwer verklemmte dreiköpfige Familie Beineke aus der anderen, sonnigeren Welt der Normalbürger, findet dabei nicht nur wieder zu sich selbst, sondern auch zueinander und lässt den zermürbenden, öden Alltag endlich hinter sich – Wahrheit muss weh tun.
Regisseur Malte C. Lachmann inszenierte das an der Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater mit seiner Choreographin Gaines Hall in rund 100 pausenlosen Minuten als ausgelassene, herrlich unterhaltsame und temporeiche Satire-Sause: Er würzte den Abend mit einer Prise Surrealismus, einem Teelöffel Klamauk, reichlich Poesie und mischte das Ganze mit Stepptanz und einer Wilhelm-Tell-Parodie. Der Apfelschuss geht allerdings etwas anders aus als bei Schiller, so viel sei verraten.
Verliebt in den Mond
Gerade in diesen Zeiten, wo gegen „alternative“ und ungewöhnliche Lebensstile und -konzepte gehetzt und gezetert wird, ist die „Addams Family“ das Stück der Stunde. Genau darum geht es: Jeder soll nach seiner Façon selig werden, wie es schon Friedrich der Große ausdrückte. Jeder Spleen, jede fixe Idee haben ihre Berechtigung, solange sie niemandem schaden, und wenn jemand sich in den Mond verliebt wie Onkel Fester, dann wird er schon irgendwann mit einer Rakete abheben, wie hier, begleitet vom kosmisch-rasanten Dirigat von Andreas Kowalewitz, eindrucksvoll vorgeführt wird.
Großer äußerer Aufwand ist dafür nicht nötig: Bühnenbildner Stephan Prattes hatte ein die Bühne ausfüllendes, weißes Segel entworfen, das bei Bedarf als Projektionsfläche für Schattentheater herhält. Von der mondänen Showtreppe über repräsentative Gartentore und opulente Sitzmöbel bis hin zu flatternden Vögeln wird alles nur als Silhouette angedeutet. Malte C. Lachmann und seinem Team war es wichtig, die Theatermittel selbst sichtbar zu machen, wie er im Programmheft betont. Mit anderen Worten: Die Künstlichkeit der Szenerie wird jederzeit augenfällig und entlarvt die fassadenhafte, scheinbar geordnete Bürgerlichkeit, die oft so pompös einherschreitet, obwohl sie tatsächlich völlig hohl ist.
Auf die Perspektive kommt es an
Großartig und bestens aufgelegt das Ensemble aus Studierenden der Theaterakademie, allen voran die aus Dresden stammende Amy Sellung als resolute Addams-Mutter Morticia, Brandon Miller als ihr schwer geprüfter Ehemann Gomez, die Salzburgerin Melanie Maderegger als verliebte und Armbrust schießende Tochter Wednesday und Christian Sattler als ihr treu ergebener Liebhaber. Aber auch alle anderen Mitwirkenden elektrisierten mit ihrer Präsenz förmlich das Publikum, darunter nicht wenige herzhaft lachende Kinder. Begeisterter Applaus für ein schräges Musical, das nicht besser in den „Totenmonat“ November passen könnte. Auf die Perspektive kommt es an, sogar auf dem Friedhof!
Weitere Vorstellungen am 15., 16., 18., 19., 21. und 22. November 2025 in Prinzregententheater München.

