Wir schreiben das Jahr 1985. Die Videospielindustrie liegt am Boden. 1983, nur zwei Jahre zuvor, ist der Markt kollabiert: zu viele schlechte Spiele, zu viel Mittelmaß, zu viele Plastikmodule in den Regalen. Das Videospiel E.T., hastig zum Filmstart programmiert, erweist sich als so schlecht, dass Millionen Module unverkauft bleiben. Lastwagen kippen sie in die Wüste von Nevada, wo sie im Sand vergraben werden. Es ist das Symbol einer ganzen Branche, die gerade an ihrem eigenen Übermut zugrunde geht.
Doch dann: Super Mario Bros. Ein kleiner Klempner mit roter Mütze und buschigem Schnauzer hüpft über Röhren, stampft auf Schildkröten, sammelt Münzen. Nintendo läutet mit diesem Spiel eine neue Epoche ein. Computerspiele sind nicht mehr tot, sie leben – und wie!
Ein Zufallsprodukt wird zur Ikone
Dabei ist Mario zu diesem Zeitpunkt gar kein völliger Neuling. Schon 1981 taucht er in Donkey Kong auf, als „Jumpman“ statt als Mario, als Tischler statt als Klempner und sehr kantig und grobpixelig. Und so ist seine Gestalt mehr der Technik geschuldet als einer künstlerischen Eingebung. Die Mütze, weil animierte Haare zu kompliziert wären. Der Schnauzer, weil man mit groben Pixeln keinen feingliedrigen Mund zeichnen kann. Die Latzhose, damit sich die Bewegungen besser erkennen lassen. Aus diesen Notlösungen entsteht eine Figur, die bleibt.
Eine Figur, die so erstaunlich wenige Eigenschaften hat – und doch gerade so viele, dass sie zur Projektionsfläche werden kann. Für Kinder, die in ihm den lustigen Onkel sehen. Für Erwachsene, die sich in seiner proletarischen Hartnäckigkeit wiederfinden. Für alle, die glauben wollen, dass auch die kleinen, unscheinbaren zu Helden werden können.
Die Geburt des digitalen Flows
Super Mario Bros. ist auch noch, vierzig Jahre später, ein ludologisches Meisterwerk von zeitloser Eleganz. Wer es heute zum Laufen bringt, der wird sofort aufgesogen, es spielt sich flüssig, direkt, selbstverständlich. Springen, laufen, Münzen sammeln. 1985 ist es das erste Spiel, das eine ganze Welt in Bewegung setzt: Der Bildschirm scrollt, Landschaften entfalten sich. Das Meisterwerk von Gamedesign-Legende Shigeru Miyamoto etabliert eine neue Grammatik des digitalen Spiels, die sich durch Klarheit und Intuition auszeichnet. Super Mario Bros. legt die Blaupause für ein Genre, das später „Jump’n’Run“ heißt: Rennen, springen, sich dem Flow hingeben. Ob Sonic, Rayman oder unzählige Indie-Spiele – sie alle sind Derivate des 40 Jahre alten Originals.
Vom Klempner zur Lizenzmaschine
Und trotzdem gibt es Flecken auf dem strahlend blauen Overall. Super Mario ist längst mehr als Spielfigur – er ist Lizenzmaschine. Vom Kart-Rennen über Tennis und Golf bis hin zu Arzt-Simulationen und Freizeitparks – es gibt kaum etwas, zu dem Mario nicht schon verwurstet wurde. Kritiker werfen dem betont konservativen Unternehmen Nintendo Infantilisierung vor: immer die gleichen Motive, immer dieselbe Rettung der immer gleichen Prinzessin, kaum echte Entwicklung. Doch vielleicht liegt gerade in dieser Schlichtheit sein Geheimnis: Mario ist kulturelles Esperanto: verstanden von Kindern in Tokio, von Eltern in Rosenheim, von Großeltern in Buenos Aires.
Das Leben als Level
Und so ist Super Mario Bros. mehr als nur ein Klassiker der Unterhaltung. Es ist das Sinnbild für das menschliche Grundmuster des Spielens selbst: scheitern, neu beginnen, wieder springen, noch einmal probieren. Das Spiel ist ein endloser Dialog aus Versuch und Irrtum, aus Fallen und Aufstehen – und genau darin liegt seine zeitlose Kraft. Seit vierzig Jahren erinnert es uns daran, dass jeder Abgrund überspringbar ist und dass Wiederholung nicht Stillstand bedeutet. Und wenn am Ende dann die Münzen klingeln, dann klingt darin vielleicht auch ein bisschen das Leben selbst.