„Ich spreche gerade zu Ihnen aus dem Herzen des Silicon Valley, wo es sich anfühlt, als würden Nerds versuchen, Gott in einer Box zu bauen“, sagt Dan Wang, China-Experte an der Stanford University, im KI-Podcast der ARD. „In China hingegen behandeln sie KI als eine weitere spannende Technologie – nicht als die finale Technologie, die die Welt beendet.“
Der Unterschied könnte kaum größer sein. Während in den USA Begriffe wie Superintelligenz und künstliche allgemeine Intelligenz (artificial general intelligence, AGI) die Debatte dominieren, denkt China pragmatischer. KI ist dort kein mystisches Zukunftsversprechen, sondern ein Werkzeug im Werkzeugkasten – neben vielen anderen.
Wer baut was mit KI?
Experte Wang sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen China und den USA, der auch das KI-Wettrennen zwischen den Ländern prägt. China sei ein „Ingenieursstaat“, die USA hingegen eine „Nation der Anwälte“. Was damit gemeint ist: In Chinas Führungsriege sitzen überwiegend Leute mit technischem und industriellem Hintergrund, in den USA dominieren Juristen und Wissensarbeiter die Elite. In China, so Wang, werde KI wie jede neue Technologie danach beurteilt, wie nützlich sie für die gewaltigen industriellen Projekte des Landes ist.
Diese unterschiedlichen Prioritäten erklären auch, weshalb China mit der KI-Revolution erst warm werden musste. Anfangs war man skeptisch gegenüber Sprachmodellen wie ChatGPT – zu sehr erinnerten sie an soziale Netzwerke, die die ökonomische Produktivität eines Landes nicht unbedingt steigern – und stattdessen zu politischer Instabilität führen können. Doch spätestens nach dem Erfolg des chinesischen Modells DeepSeek änderte die Führung ihre Meinung.
Chips gegen Kilowattstunden
Im KI-Wettlauf haben beide Seiten unterschiedliche Trümpfe in der Hand. Die USA kontrollieren den Zugang zu den modernsten Mikrochips – ein klarer Nachteil für China, auch wenn derzeit Verhandlungen zwischen beiden Ländern laufen, bei denen Chipexporte eine Rolle spielen dürften.
Doch China hat einen massiven Vorteil: Energie. Diese ist enorm wichtig für das Trainieren der rechenhungrigen Spitzen-KIs. „China hat gerade doppelt so viel elektrische Kapazität wie die USA“, erklärt Wang. Beim Bau von Solar und Windkraft, aber auch Kohle und Atomkraft ist China dem Rest der Welt voraus. Aktuell werden im Land beispielsweise 33 Atomkraftwerke gebaut, in den USA seien es null. Amerikanische Tech-Konzerne wollen zwar auch in Kernkraft investieren, um ihre Rechenzentren zu versorgen, müssen mit dem Bau neuer Projekte aber langwierige Genehmigungsverfahren abwarten.
DeepSeek: KI als Rohstoff statt Imperium
Ein weiterer Unterschied zum Silicon Valley: die meisten chinesischen Modelle, allen voran die der chinesischen KI-Firma DeepSeek, werden als Open Source veröffentlicht – frei verfügbar für alle. Das führt nicht nur dazu, dass hunderte chinesische Firmen DeepSeek-Modelle in ihren Produkten testen, von E-Autos bis Haushaltsgeräten. Auch in Deutschland hat etwa Baden-Württemberg das chinesische Modell für seine Verwaltungs-KI F13 getestet.
Doch die Offenheit hat ihre Tücken. Eine Untersuchung der Cybersecurity-Firma CrowdStrike zeigt, dass DeepSeek offenbar schlechtere Programmier-Ergebnisse liefert, wenn Nutzer erwähnen, dass sie für eine china-kritische Organisation arbeiten. Der Einsatz chinesischer KI will also gut überlegt sein.
Deutschland zwischen den Fronten
Für Europa wird die Lage brenzlig. Deutschland versteht sich ähnlich wie China als Industrienation mit starker Ingenieurskultur. Doch wenn China seinen industriellen Fokus mit massiven KI-Investitionen kombiniert, könnte es Europa ausgerechnet in dessen ureigenem Spezialgebiet überholen. Wang warnte: „Dieser chinesische Ansatz könnte für Deutschland gefährlicher sein als für die USA.“
Bleibt die Frage, ob China seinen Kurs hält. In autoritären Systemen kann sich die Richtung schnell ändern. Der aufstrebende Tech-Sektor des Landes bekam dies vor einigen Jahren zu spüren, als die KP-Führung fast über Nacht enormen politischen Druck auf die Tech-Unternehmen aufbaute und etwa der Unternehmer Jack Ma monatelang verschwand. Erst Jahre später erholte sich der chinesische Tech-Sektor von den Repressionen. „Es gibt etwas unheimlich Prekäres an autoritären Systemen, wo es auch für die Eliten keine echte Stabilität gibt“, so Wang. Das Damoklesschwert hänge immer über einem. Ob es auch über Chinas KI-Firmen schwebt, wird sich zeigen.

