In der Autobranche sind die Erwartungen an den „Gipfel“ am heutigen Donnerstag gering. Bei einem großen Unternehmen, dessen Vertreter auch im Kanzleramt dabei sein werden, sprach man leicht genervt von einem „durchgehenden Plateau“. Angesichts der vielen „Gipfel“ und „Spitzentreffen“ in der Vergangenheit kann man tatsächlich eher von einer Gebirgskette sprechen. Aber an der Lage in der Industrie hat sich unterdessen nichts entscheidend geändert.
Streit über das Verbrenner-Aus ist kontraproduktiv
Vor und auf der Münchner Automesse IAA wurde bereits viel über das Aus vom Verbrenner-Aus 2035 in der EU diskutiert. Allen voran haben den Rückzug vom Rückzug mehr oder weniger deutlich die Vorstandschefs von BMW, Mercedes und VW gefordert. Besonders freute man sich darüber, dass sich auch Bundeskanzler Friedrich Merz während des Messebesuchs für mehr Technologieoffenheit in dieser Diskussion ausgesprochen hat.
Dabei erschien der Zeitpunkt für diese Diskussion seltsam: Während die deutschen Hersteller auf den Bühnen ausschließlich ihre neuesten Elektroautos präsentierten, traten sie in den Hintergrundgesprächen für eine längere Laufzeit der Verbrenner ein – als würden sie an ihren Erfolg selbst nicht glauben.
In der Koalition wird um das Thema nun gestritten. So wollen entgegen dem Willen der Union Bundesumweltminister Carsten Schneider und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (beide SPD) am Verbrenner-Aus festhalten. Man hoffe daher sehr auf einen einheitlichen Standpunkt, der dann kraftvoll in Brüssel vertreten werde, heißt es in Unternehmenskreisen. Denn dieser Streit dürfte nur für weitere Unsicherheit und Zurückhaltung sorgen, sowohl bei der Kundschaft als auch bei den Herstellern und Zulieferern.
Krise der Autoindustrie wird EU-weit verhandelt
Aber selbst wenn sich die Bundesregierung auf ein Aus vom Aus einigt, entschieden wird darüber innerhalb der EU, also auch von den anderen Mitgliedsstaaten. Und an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hierzulande ändert ein Aus erst einmal nichts. Eine Aufweichung des faktischen Verbrenner-Verbots allein werde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie nicht verbessern, meint Autoexperte Professor Stefan Bratzel im Interview mit BR24.
Der deutsche Standort gilt vielen als nicht wettbewerbsfähig: viel Bürokratie, zu hohe Energie- und Arbeitskosten. Vor allem Autozulieferer bauen reihenweise Personal ab. Hier müsste die Politik ansetzen, hört man in der Branche – auch wenn vielen bewusst ist, dass die Krise zur Hälfte die Automobilindustrie selbst zu verantworten hat. Zur anderen Hälfte sei sie durch die verschlechterten Rahmen- und Standortbedingungen verursacht, so das Fazit von Bratzel. Hinzu kämen die anhaltend schwache Nachfrage nach Autos in Europa sowie die Handelsstreitigkeiten mit USA und China.
Was von der Politik erwartet wird
Die Präsidentin des Automobilverband VDA, Hildegard Müller, findet es gut, dass der Bundeskanzler mit der Bundesregierung den Austausch mit der deutschen Automobilindustrie sowie den Gewerkschaften sucht, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Ein gemeinsames Verständnis der Lage und der Herausforderungen sei Grundlage dafür, um miteinander Lösungen zu finden. Doch Verständnis allein ist höchstens ein Anfang. Dazu dürfte auch die von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil geplante Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für Elektroautos gehören.
Der Autoexperte und frühere BMW-Entwicklungsvorstand Burkhard Göschel findet dagegen klare Worte: Er habe keine Erwartungen an den Gipfel. Was man sehe, sei fast nur Symbolpolitik. Die Politik habe Rahmenbedingungen vorzugeben und nicht technologische Lösungen. Dazu gehört seinen Worten nach eine attraktive, für jeden zuverlässig funktionierende Infrastruktur. Zudem schlägt er kostenlose immaterielle Zusatzangebote vor, wie zum Beispiel Sonderspuren für E-Autos wie bei Bussen. Es müsse endlich der Endkunde in den Fokus kommen, fordert Göschel.
Geringe Nachfrage deutet auf geringe Akzeptanz hin
Ähnliches hört man unter anderem beim ADAC, der darauf verweist, dass auf dem Gipfel nur die Bundesregierung und Vertreter der Automobilwirtschaft diskutieren. Die Runde sollte aber auch berücksichtigen, was Verbraucher bräuchten, meint ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze: bezahlbare Mobilität mit dem Pkw – auch unter zu Recht hohen Ansprüchen an den Klimaschutz.
Denn Nachfrageprobleme auf dem Automobilmarkt seien in Wahrheit Akzeptanzprobleme bei Käufern. Sie treten dann zutage, wenn Kosten zu hoch sind, es an Infrastruktur mangelt und die Planbarkeit fehlt.