Seit fast zwei Jahren ist Corinna Brod auf Jobsuche. Die Kommunikations- und Marketingexpertin hat in Führungspositionen gearbeitet und gut verdient. Inzwischen hat sie über 100 Bewerbungen geschrieben und Fortbildungen gemacht – doch immer noch keine Stellenzusage. Sie hat eine Vermutung, woran es scheitert: „Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass es daran liegt, dass ich 58 bin.“
Das steht im krassen Widerspruch zu dem, was aktuell los ist auf dem Arbeitsmarkt: Die Baby-Boomer-Generation geht in Rente, überall leeren sich Arbeitsplätze und die Bundesregierung versucht mit Steuergeschenken und Aktivrente, die Generation Ü50 am Arbeitsmarkt zu halten. Wo ist also der Gap?
Ältere auf Jobsuche – qualifiziert, aber wenig Chancen
Wolfgang Hennen ist Geschäftsführer bei der Outplacement-Beratung OMC in Berlin und weiß sowohl um die Probleme Älterer, als auch, dass viele Unternehmen Fachkräfte suchen. „Mich schmerzt es zu sehen, dass beide Seiten suchen – und nicht zusammenfinden“, sagt er im Interview mit dem BR. Er unterstützt Jobsuchende etwa bei Ihrer Präsentation auf Internet-Plattformen wie LinkedIn.
Dort brauchen Bewerberinnen und Bewerber nicht nur ein aussagekräftiges Profil erstellen. Sie müssen sich auch online vernetzen. Ansonsten werden sie von Personalern – oder deren KI-Programmen – nicht gefunden. Oft muss er noch ein wichtiges Thema ansprechen: zu hohe Gehaltsvorstellungen. Diese müssen Ältere beim Jobwechsel häufig zurückschrauben.
Rund 734.000 Menschen über 55 Jahren sind in Deutschland arbeitslos, ein Viertel davon Fachkräfte. Zwar liegt die Arbeitslosenquote Älterer mit 6,4 Prozent etwas unter dem Durchschnitt. Doch wer einmal arbeitslos wird, hat es deutlich schwerer, wieder zurückzukehren, oft wegen Vorurteilen: zu teuer, zu oft krank, zu geringe Restbeschäftigungsdauer.
Mit 64 ist oft schon Schluss
Hinzu kommt: In Deutschland hören viele Beschäftigte weit vor dem Renteneintrittsalter mit dem Arbeiten auf, im Schnitt mit 64 Jahren. Die Gründe dafür ähneln sich bei vielen Menschen, das hat der Arbeitswissenschaftler Hans Martin Hasselhorn von der Bergischen Universität Wuppertal herausgefunden. Laut seiner Studie „Leben in der Arbeit“ (externer Link) wünschen sich zwei Drittel einen früheren Ausstieg.
Die Hauptgründe: mehr Selbstbestimmung, das Gefühl, sich einen Anspruch erworben zu haben und finanzielle Sicherheit. Belastung oder Gesundheit spielen erst nachrangig eine Rolle. Daraus lässt sich schließen: Damit Beschäftigte wirklich länger arbeiten, sollten auch Unternehmen etwas verändern.
Was zum längeren Arbeiten motiviert
Bei ZSI Technology, einem fränkischen Autozulieferer, hat man das offenbar verstanden. Der 66-jährige Stefan Hammes arbeitet erst seit wenigen Monaten dort und er brennt für seine Arbeit als Systemarchitekt. Geld ist für ihn weniger eine Motivation. Entsprechend würde die ab Januar 2026 geplante Aktivrente ihn nicht antreiben, länger zu arbeiten. Was ihn eher glücklich macht: Das Arbeitsklima. Laut Studien ist er damit nicht allein. Viele ältere Beschäftigte arbeiten vor allem aus persönlichen und sozialen Motiven, wie Spaß an der Arbeit oder dem Bedürfnis nach sozialer Teilhabe.
Hammes‘ Arbeitgeberin Angela Werbik, die Geschäftsführerin bei ZSI Technology, setzt bewusst auf Ältere mit Expertise und versucht, Arbeitsinhalte und -zeiten so gut es geht auf ihre Mitarbeitenden zuzuschneiden. Durch viel Kommunikation und eine offene Führungskultur möchte sie mit den Mitarbeitenden immer im Gespräch bleiben, um herauszufinden, welche Bedürfnisse sie haben. Ihr Rezept sei es, „spannende Aufgaben zu bieten, die zu den Menschen passen“. So will sie gezielt viele Fachkräfte mit Expertise bei sich im Unternehmen halten. Bislang gelingt ihr das ganz gut.
Mentalitätswandel in Deutschland
Auch Corinna Brod möchte endlich wieder einen Job. Sie kann sich gut vorstellen, bis über 70 hinaus zuarbeiten. Jetzt mit 58 ist sie voller Energie und hochmotiviert. Die geplante Aktivrente hilft ihr bei der Jobsuche erst einmal nicht weiter.
Aber vielleicht gelingt durch sie das, was sich der Urheber der Idee, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, wünscht: einen Mentalitätswandel in Deutschland, dahin, dass Arbeiten etwas Erfüllendes sein kann.