Die Zahl überrascht: Das Tarifregister beim Bundesarbeitsministerium kommt auf 88.757 gültige Tarifverträge (Stand: Ende 2024). Hinter der hohen Zahl verbergen sich viele einzeln gemeldete Regelungen, von Einkommen über Arbeitszeit bis hin zu extra Bonuszahlungen. Nicht ganz ein Drittel werden für eine Branche abgeschlossen: ein Flächentarif. Die meisten aber gelten nur für einzelne Betriebe, die sogenannten Haustarifverträge.
Drei Beispiele aus Bayern für Tarifverträge
- Allgäuer Hutindustrie: Die Produktion findet heutzutage meist im Ausland statt. Aber Einkauf, Vertrieb und Design wurden nicht verlagert. Die Firma Mayser in Lindenberg hat gerade erst neue Konditionen mit der IG Metall abgeschlossen, die auch für die Textil- und Bekleidungsindustrie zuständig ist. Der Flächentarifvertrag, der mittlerweile nur noch für eine Firma gilt, wird auch von anderen Firmen angewandt.
- Schornsteinfeger: Die nennen sich in Bayern Kaminkehrer und müssen nicht alle einzeln „auf gut Glück“ mit ihrem Chef über ein Gehaltsplus reden. Die Innung hat mit dem Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger (ZDF) einen Tarifvertrag abgeschlossen – inklusive 13. Monatsgehalt. In Bayern sind laut Innung 98 Prozent der Firmen mit rund 1.450 Beschäftigten daran gebunden.
- Verwaltung von ENI: Der italienische Mineralölkonzern betreibt auch Tankstellen in Deutschland. Verwaltet wird das von rund 180 Beschäftigten. Für die hat die IGBCE (Bergbau, Chemie, Energie) einen Haustarif abgeschlossen – inklusive einer Tankfüllung im Wert von 80 Euro pro Monat.
Ein Tarifvertrag ist kein Muss
Niemand schreibt einem Arbeitgeber in Deutschland vor, einen Tarifvertrag zu unterzeichnen. Gerade in größeren Firmen spart er der Personalabteilung aber einiges an Aufwand. Statt mit jedem Beschäftigten einzeln die Konditionen auszuhandeln, gilt ein Tarifwerk für alle. Das bringt auch vielen Mitarbeitenden etwas. Denn nicht jeder traut sich zu rufen: „Hey Boss, ich brauch mehr Geld!“
Um einen Tarifvertrag abschließen zu können, braucht es immer zwei: einen Verband oder auch einen einzelnen Vertreter auf Arbeitgeberseite und eine Gewerkschaft auf Seiten der Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht schaut bei der Schließung eines Vertrags aber genau hin: Es reicht nicht, wenn drei Beschäftigte ihren Chef zu Verhandlungen über ein Gehaltsplus auffordern.
Wer Tarifverträge unterschreiben will, muss mächtig genug sein, um sie zum Beispiel mit einem Streik durchsetzen zu können. Und die Gegnerfreiheit muss garantiert sein. Der Arbeitgeber – so die obersten Richter – kann sich nicht ein ihm gefälliges Gegenüber schaffen. Die Gewerkschaft wiederum darf einem Arbeitgeber nicht vorschreiben, sich im Verband zu organisieren oder selbst zu verhandeln. Sie kann ihn – wenn sie stark genug ist – nur dazu auffordern und mit Streiks Druck ausüben.
Tarifbindung immer geringer
Auch wenn ein Tarifvertrag Vorteile bringt – in Deutschland gilt er direkt in immer weniger Unternehmen. Das Statistische Bundesamt kommt auf nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten. Bayern liegt mit 48 Prozent laut Vergleich des IAB-Betriebspanels im unteren Bereich. Viele Firmen erkennen einen abgeschlossenen Tarifvertrag aber an. Darauf weist die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hin.
Der neuen Bundesregierung ist das zu wenig. Laut Koalitionsvertrag will sie etwas dazu beitragen, dass sich wieder mehr Beschäftigte direkt auf einen für sie abgeschlossenen Vertrag zu den Arbeitskonditionen berufen können. Unter anderem sollen bei Aufträgen, die der Staat vergibt, die Firmen tarifliche Absprachen einhalten müssen. Das gilt jetzt schon in vielen Bundesländern – in Bayern nicht.