In Deutschland gibt es ungenutztes Arbeitskräftepotenzial. Experten sprechen dabei von „stiller Reserve“. Das sind 3,1 Millionen Menschen in Deutschland, die arbeiten wollen, dem Arbeitsmarkt aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Frauen in dieser Gruppe fehlt es unter anderem an Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder. Für Arbeitsmarktexperten ist das in Zeiten des Fachkräftemangels verschenkte Arbeitskraft. Denn knapp 60 Prozent der Menschen in der „stillen Reserve“ verfügen über ein mittleres oder hohes Qualifikationsniveau. Das zeigen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes (externer Link).
Von der Teilzeitausbildung zur Vollzeitkraft
Vanessa Riemer arbeitet als Bankkauffrau bei der Sparkasse Nürnberg. Die 35-Jährige ist Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Berufstätig zu sein, sei ihre Berufung, sagt sie. Sie hatte bereits eine Ausbildung als Erzieherin absolviert. In dem Bereich wollte sie aber nicht bleiben und bewarb sich bei der Bank. Als ihr Sohn ein Jahr alt war, begann sie bei der Sparkasse Nürnberg zuerst mit einer Vollzeitausbildung. Ihr Arbeitgeber gab ihr dann die Möglichkeit, die tägliche Arbeitszeit in der Bank zu reduzieren, damit sie beides unter einen Hut bekommt – Ausbildung und Familie. „Als dieses Angebot dann kam, war das schon eine große Erleichterung“, sagt sie heute. Nun, da ihr Sohn größer ist, arbeitet sie als Vollzeitkraft im Bereich Kredite. Für sie als Beschäftigte, aber auch für ihren Arbeitgeber eine Win-win-Situation.
Fachkräfte halten durch Teilzeitangebote
Vanessa Riemer sei eine sehr motivierte Mitarbeiterin, ein Gewinn für das Unternehmen, sagt Stephanie Stumpf, Leiterin Personalentwicklung bei der Sparkasse Nürnberg. Bei der Sparkasse Nürnberg arbeiten rund 980 Frauen und 600 Männer. Die Möglichkeit, die Ausbildung auch in Teilzeit anzubieten, mache auch den Arbeitgeber attraktiver, sagt die Personalentwicklerin. „Unternehmen sind interessiert daran, die besten Fachkräfte zu gewinnen, aber eben auch zu halten“. Arbeitgeber müssten bei Arbeitszeitmodellen flexibler werden, weil sich eben auch Lebenssituationen veränderten – nicht nur durch Kinder, sondern auch durch die Pflege von Angehörigen, sagt Stephanie Stumpf.
Unterstützung für die Arbeitgeber
Bei der Flexibilität von Arbeitszeitmodellen gebe es noch Handlungsbedarf, sagt Claudia Köster von der Nürnberger Arbeitsagentur. Sie warnt vor dem Fachkräftemangel, der sich durch die Babyboomer, die bald in Rente gingen, verstärken werde. „Wir müssen alle Ressourcen nutzen“, sagt Köster. Modelle wie die Teilzeitausbildung werden in Bayern auch gefördert: Zum Beispiel im Programm „Fit for Work“, das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert wird. Auch die Agenturen für Arbeit stünden als Ansprechpartner für Arbeitgeber zur Verfügung, so Claudia Köster.
Die „Teilzeitfalle“ im Arbeitsleben
In den vergangenen Jahren hätte sich gezeigt, dass immer mehr Frauen berufstätig sind, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Deutschland habe im internationalen Vergleich eine hohe Erwerbsquote, aber auch eine hohe Teilzeitquote. Volkswirtschaftlich sei diese Entwicklung „kein Verlustgeschäft“, sagt Weber.
Er warnt allerdings vor der Teilzeitfalle, in der zumeist Frauen stecken bleiben könnten: „Die Frauen gehen in Teilzeit und dann sieht man leider sehr häufig, dass die berufliche Entwicklung der Frauen abknickt“, erklärt Weber. Auch wenn die Kinder größer sind, komme die Karriere nicht mehr wirklich in Gang. „Das heißt, man bleibt auf diesem Zuverdiener-Job. Und das ist eigentlich schade, denn da verlieren wir richtig Potenzial“.
Ökonom plädiert für Umdenken bei der Arbeitszeit
IAB-Ökonom Enzo Weber sieht unter dem anderen den Ausbau an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Änderungen beim Ehegattensplitting und bei den Minijobs als Ausweg aus der Teilzeitfalle. Aber auch ein Umdenken sei notwendig: Hierzulande bestünde vielfach die Ansicht, dass man nur in Vollzeit Karriere machen könne und mit Teilzeit auf das Abstellgleis einbiege. Weber plädiert für individuelle Arbeitszeitmodelle: „Nicht vier Tage für alle, nicht fünf Tage, sondern ich nenne es die X-Tagewoche, die Wahlarbeitszeit im Lebensverlauf“, sagt Weber im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk.