Es kommt in diesen Tagen nicht so häufig vor, dass die Bundeswirtschaftsministerin positiv gestimmt vor die Kameras tritt. „Wir haben heute gute Nachrichten für die Stromkunden in Deutschland“, sagt Katherina Reiche nach der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt.
Die CDU-Politikerin verkündet zwei Maßnahmen, die die Stromkosten drücken sollen. Bei der ersten geht es um die sogenannten Netzentgelte. Sie sind Bestandteil der Stromkosten und in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Über sie wird beispielsweise der Ausbau der Stromnetze finanziert. Die Netzentgelte machen laut Experten fast 30 Prozent der Stromkosten aus.
Erste Maßnahme: Netzentgelte sollen abgesenkt werden
Die Bundesregierung will die Netzentgelte jetzt absenken. Dafür nimmt sie für das kommende Jahr 6,5 Milliarden Euro in die Hand und bezuschusst damit die Netzbetreiber. Dieser Zuschuss wird aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert. Ein Sondertopf des Bundes, der vor allem für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen eingerichtet wurde.
Die Wirtschaftsministerin betont: Das sei keine einmalige Entlastung. In den nächsten vier Jahren würden dadurch die Stromkosten um insgesamt 26 Milliarden Euro gesenkt werden.
Im Schnitt zwei Cent pro Kilowattstunde weniger
Von niedrigeren Netzentgelten sollen alle Unternehmen und privaten Haushalte profitieren, verspricht Reiche. Sie erwartet, dass die Strompreise im Durchschnitt um zwei Cent pro Kilowattstunde sinken. Für einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt bedeutet das eine Einsparung von 60 bis 70 Euro im Jahr.
Der Betrag wird jedoch von Region zu Region variieren, weil die Höhe der Netzentgelte und Kosten für die Stromnetze in Deutschland unterschiedlich sind. Das Wirtschaftsministerium rechnet mit einer Entlastung in der Spannbreite von 1,3 bis 2,4 Cent pro Kilowattstunde.
Ob die Strompreise wirklich sinken?
Allerdings: Eine Studie der Beratungsfirma Consentec im Auftrag von Wirtschaftsverbänden kommt zu dem Schluss, dass in manchen Gebieten praktisch keine Entlastung auf der Stromrechnung ankommen werde. Dazu kommt: Die Energieversorger wurden nicht verpflichtet, den Milliarden-Zuschuss des Bundes für die Netzentgelte an die Stromkunden weiterzugeben. Wirtschaftsministerin Reiche hatte die Branche lediglich dazu aufgefordert, die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu senken.
Zweite Maßnahme: Geringere Stromsteuer
Bei der zweiten Maßnahme geht es um die Stromsteuer. Sie soll dauerhaft um 1,5 Cent pro Kilowattstunde auf den Mindeststeuersatz der Europäischen Union von 0,5 Cent pro Kilowattstunde reduziert werden. Aber nicht für alle Stromkunden, wie ursprünglich von der schwarz-roten Koalition mal angekündigt. Aktuell sollen nach den Plänen der Bundesregierung Unternehmen des produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft profitieren.
Konkret gehe es um über 600.000 Firmen, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Voraussetzung ist das Überschreiten eines Stromverbrauchs von 12,5 Megawattstunden beziehungsweise einer jährlichen Stromsteuer von mindestens 250 Euro – unabhängig von der Unternehmensgröße und Stromintensität.
So würden auch kleine und mittlere Unternehmen wie zum Beispiel Bäckereien entlastet, betont Wirtschaftsministerin Reiche. Die Industrie- und Handelskammer widerspricht. Sie geht von deutlich weniger Unternehmen aus. Maximal 15 Prozent der Betriebe sollen ihrer Einschätzung nach von der geplanten Senkung der Stromsteuer entlastet werden.
Wirtschaft und Opposition reichen Maßnahmen nicht aus
In der Wirtschaft ist die Kritik groß, dass die Regierung die Stromsteuer nicht für alle senkt. Der Verband der Familienunternehmer wirft der Koalition Wortbruch vor. Der Handelsverband Deutschland sagt: Die Politik lasse große Teile der Wirtschaft wie den Einzelhandel sowie private Haushalte links liegen. Auch die Autobauer kritisieren, dass nicht alle Stromkunden entlastet werden. Das bremse den Hochlauf der Elektromobilität, weil Ladestrom zu teuer sei, so der Verband der Automobilindustrie.
Die Grünen im Bundestag sehen das ähnlich. „Viel sinnvoller wäre eine Stromsteuersenkung für alle – für Handwerk, Mittelstand und für die privaten Haushalte“, sagt Jamila Schäfer, Sprecherin der bayerischen Grünen-Abgeordneten im Bundestag. Die Senkung der Netzentgelte sei nicht passgenau und werde nicht alle entlasten.
Die Gewerkschaft IG Metall sieht dagegen die beschlossenen Maßnahmen als wichtiges Signal, fordert aber schon den nächsten Schritt: einen „international wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“, wie er im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigt ist. Ein Konzept dafür müsse Wirtschaftsministerin Reiche schnell vorlegen.
Im Video: Bundesregierung will Netzentgelte und Stromsteuern senken