Thomas Hirsch hat einen radikalen Wandel vollzogen. Einst als reiner Automobilzulieferer gestartet, fertigt der Unternehmer aus dem oberbayerischen Eichstätt heute Spezialwerkzeuge und hochpräzise mechanische Bauteile – vor allem für die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie. Seit 2019 ist sein Unternehmen mit rund 30 Mitarbeitenden auf diese Branchen spezialisiert. Zu seinen Kunden zählen nach eigenen Angaben sowohl etablierte Rüstungskonzerne als auch junge Start-ups. Namen nennt Hirsch keine – Diskretion ist Teil seines Geschäftsmodells.
Langer Weg mit hohen Hürden
Der Schritt in die Rüstungsindustrie sei „keine leichte, aber die richtige Entscheidung“ gewesen, sagt der studierte Maschinenbauer. Erfolgreich sei sein Unternehmen heute, doch der Einstieg in die Branche sei mit anspruchsvollen Anforderungen verbunden gewesen: „Die Anforderungen sind extrem hoch – und das völlig zu Recht. Es geht um Präzision, Zuverlässigkeit und Wirkung.“
Allein für die Zertifizierung nach der Europäischen Norm EN 9100, die Voraussetzung für Arbeiten in der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigungsindustrie ist, brauchte Hirsch eineinhalb Jahre.
„Die größten Herausforderungen waren die aufwendigen Zertifizierungsprozesse – sowohl europäische Vorgaben als auch spezielle Anforderungen der Kunden. Dazu kam die Notwendigkeit, mein Team weiterzuentwickeln – fachlich und im Mindset“, so Hirsch. Heute kommen seine Komponenten unter anderem in Lenkflugkörpern, Luftlandeplattformen oder gepanzerten Fahrzeugen zum Einsatz.
Wachsende Nachfrage, schwierige Transformation
Viele Autozulieferer denken derzeit über einen ähnlichen Wandel nach. Denn die Autoindustrie schwächelt. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verzeichnet die Agentur Bayern Innovativ, die im Auftrag der bayerischen Staatsregierung agiert, ein „deutlich wachsendes Interesse“ an der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Hirsch Technologies gilt inzwischen als Musterbeispiel einer gelungenen Transformation und wird von der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Bayern Innovativ GmbH regelmäßig als Vorzeigeunternehmen genannt.
Netzwerke und Einstiegshilfen
Um Unternehmen beim Einstieg in den Verteidigungssektor zu unterstützen, betreibt die Bayern Innovativ GmbH unter anderem den TechHUB SVI in Ingolstadt. SVI steht für Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Das Tech-Zentrum fungiert als „Knotenpunkt“ zwischen Wissenschaft, Industrie, Start-ups und potenziellen Anwendern wie der Bundeswehr. Ziel ist es, mehr Berührungspunkte zwischen klassischer Industrie und Verteidigungswirtschaft zu schaffen – denn an denen fehlt es laut Bayern Innovativ GmbH noch zu oft.
Großserien als Hindernis
Doch nicht für alle Zulieferer ist der Wechsel in die Rüstungsbranche realistisch. Franz Schabmüller, IHK-Sprecher für die Region Ingolstadt und Unternehmer in der Automobilindustrie, nennt drei zentrale Hemmnisse: „Stückzahl, Planbarkeit und Sicherheit der Mitarbeitenden.“
Seine Firmengruppe Framos Holding GmbH produziert in Großmehring bei Ingolstadt hochautomatisiert Gussteile in Großserie – mit Stückzahlen ab 50.000 bis über eine Million pro Jahr. Für solche Mengen gebe es im Verteidigungssektor aktuell keinen Markt.
Auch die langfristige Planbarkeit fehle: „Wie lange wird das gehen? Wann kommen die Aufträge tatsächlich an? Wie schnell fließt das Geld?“, fragt Schabmüller. Hinzu kommen verschärfte Sicherheitsanforderungen, insbesondere bei der Überprüfung von Mitarbeitenden – ein Aufwand, der mit zunehmender Unternehmensgröße kaum zu stemmen sei.
Flexibilität als Schlüssel
Für kleinere, flexiblere Betriebe hingegen kann der Schritt in Richtung Verteidigung lohnend sein. „Wir arbeiten ab Stückzahl eins bis zu mehreren tausend“, sagt dagegen Unternehmer Thomas Hirsch. Für ihn war genau diese Flexibilität entscheidend für den erfolgreichen Wandel.
Zwischen Angst und Chance
Sowohl Hirsch als auch Schabmüller berichten von großem Interesse der Zulieferer an der Verteidigungsindustrie. „Vor allem die, die derzeit wenig Arbeit haben, sehen darin eine Option“, beobachtet Schabmüller. Hirsch ergänzt: „Die einen treibt die Angst – weg von stagnierenden Branchen. Die anderen folgen dem Geld.“
Offizielle Zahlen, wie viele Unternehmen in Bayern bereits den Einstieg geschafft haben, gibt es bislang weder bei der IHK noch beim bayerischen Wirtschaftsministerium.