Der Wirecard-Prozess ist gerade in sein drittes Jahr gegangen: Am 8. Dezember 2022 hat Richter Markus Födisch das Verfahren im unterirdischen Hochsicherheits-Gerichtssaal auf dem Gelände der JVA Stadelheim eröffnet. Seitdem läuft die Hauptverhandlung.
Angeklagt sind der ehemalige Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, Ex-Chefbuchhalter Stephan von Erffa sowie der ehemalige Statthalter des Zahlungsdienstleisters in Dubai, Oliver Bellenhaus. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen in ihrer Anklage unter anderem Marktmanipulation und bandenmäßigen Betrug vor. Über Jahre sollen sie Wirecard mit falschen Bilanzen in der Öffentlichkeit profitabler dargestellt haben, als der ehemalige DAX-Konzern tatsächlich war.
Kommt das Urteil doch schon in diesem Jahr?
Geht es nach dem Gericht, könnte das Urteil in diesem Mammut-Verfahren früher kommen – und zwar schon in diesem Jahr: Die Strafprozessordnung sieht vor, dass Verfahren beschleunigt werden können, wenn sich die Anklage auf die darin erhobenen zentralen Vorwürfe konzentriert.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Diese verbleibenden Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass die möglicherweise gestrichenen bei einer Verurteilung der Angeklagten jeweils nicht weiter ins Gewicht fallen. Beschlossen ist das allerdings noch nicht. Die Staatsanwaltschaft muss der Verfügung von Richter Markus Födisch zustimmen. Dem Vernehmen nach will sie sich in diesem Monat dazu positionieren.
Ex-Vorstand sah in Marsalek „Mr. Superpower“
An den bisher weit über 150 Verhandlungstagen hat das Gericht Dutzende Zeugen gehört, weitere kommen in den nächsten Wochen dazu. Am Mittwoch vernahm die Kammer den früheren Wirecard-Vorstand Rüdiger T., von 2005 bis 2010 Vorstandsmitglied bei dem Online-Zahlungsdienstleister.
Dem dreiköpfigen Vorstand gehörten damals neben Rüdiger T. der Vorsitzende Markus Braun sowie Finanzvorstand Burkard Ley an. Ley ist ebenfalls angeklagt und muss sich voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt einem Gerichtsverfahren stellen. Ley, so erzählte es Rüdiger T. in der mehrstündigen Vernehmung, habe er immer als „Mr. Teflon“ gesehen, an dem alles abgleite.
Nachhaltig beeindruckt war Rüdiger T. im Gegensatz dazu ganz offensichtlich vom nach wie vor flüchtigen Jan Marsalek. Der war 2000 bei Wirecard eingestiegen und Anfang 2010 in den Konzernvorstand aufgerückt. „Er hatte ein sehr breites Wissen, war sehr eloquent und konnte Sachverhalte sehr schnell skizzieren“, sagte Rüdiger T. und ergänzte: „Er war extrem charmant, hat auf alle Bereiche Einfluss genommen.“ Marsalek habe jede Schraube im Konzern gekannt, so der Zeuge weiter. Deswegen sei er für ihn „Mr. Superpower“ gewesen.
Wichtigste Wirecard-Geschäftspartner waren Ex-Vorstand unbekannt
Wirecard war im Juni 2020 kollabiert, weil 1,9 Milliarden Euro, die für den Konzern auf philippinischen Treuhandkonten verwahrt werden sollten, nicht auffindbar waren. Nach der offiziellen Darstellung des Aschheimer Unternehmens stammte das Geld aus Geschäften, die sogenannte „Drittpartner“ im Ausland für Wirecard abgewickelt haben sollen. Bei diesen „Drittpartnern“ handelte es sich um die Firmen Al Alam (Dubai), Senjo (Singapur) und PayEasy (Manila).
Alle drei Firmen sollen zusammen für Wirecard über Jahre Geschäfte mit einem Volumen von Wert von mehreren Milliarden abgewickelt haben. Der Zeuge Rüdiger T. sagte aus, von diesen Firmen erst im Zuge des „großen Knalls“ im Juni 2020 gehört zu haben. Zwar sei er schon 2010 aus dem Unternehmen ausgeschieden, habe dann auch keine weiteren Kontakte zu seinem Ex-Arbeitgeber gehabt. Von angeblich so großen Playern am Markt hätte er aber auch danach Kenntnis bekommen müssen, denn bis heute ist der Ex-Wirecard-Vorstand im Payment-Bereich tätig.
Wirecard-Geschäft frei erfunden?
Sowohl der Insolvenzverwalter als auch die Staatsanwaltschaft sind davon überzeugt, dass das angeblich so hochprofitable Drittpartner-Geschäft bei Wirecard frei erfunden ist. Markus Braun und seine Verteidiger gehen im Gegensatz dazu davon aus, dass eine Bande rund um Jan Marsalek und Oliver Bellenhaus Wirecard zustehende Kommissionserlöse aus diesem Geschäft veruntreut und auf ausländische Konten geschleust worden sind. Bellenhaus, der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gilt, weist das vehement zurück.
Heute setzt das Landgericht München den Wirecard-Prozess mit der Vernehmung der nächsten Zeugen fort. Die Kammer will abermals einen Mitarbeiter einer Bank vernehmen, von der Wirecard einen Kredit bekommen hat.