Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit Behinderung und ohne: Darauf besteht laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Rechtsanspruch, sofern die Eltern nicht den Besuch einer Förderschule vorziehen. Umgesetzt ist dies im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz von 2011. Es eröffnet allen Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf den Weg an die allgemeine Schule.
Doch die Praxis sieht hierzulande oft anders aus. Lehrerverbände haben dazu eine bundesweite Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben. Demnach liegt bei der Umsetzung auch in Bayern noch einiges im Argen.
BLLV: Bayern stellt noch zu wenig Fachpersonal
Die Rechtslage ist klar: Maßgebend ist der Elternwille, wo ihr geistig oder körperlich behindertes Kind zum Unterricht gehen soll – in eine spezielle Förderschule oder in eine Regelschule.
Doch darauf sei der Freistaat immer noch nicht ausreichend eingestellt, kritisiert Sabine Bösl vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Als Rektorin einer Grundschule erhalte sie zu wenig Fachpersonal vom Freistaat für betreuungsintensive Kinder. Und: „Die Klassengrößen bleiben in Regelschulen unverändert. Wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinzukommen, wie soll denn eine Lehrerin mit 28 Schülerinnen und Schülern in einer ersten Klasse – wenn davon mehrere sonderpädagogischen Förderbedarf haben – es alleine schaffen?“
Dauerhafte Tandemklassen noch selten
Nach der von Lehrerverbänden in Auftrag gegebenen Umfrage hält nur ein Viertel der bayerischen Lehrkräfte Inklusion an einer Regelschule für praktikabel. So ist für die Integration von zwei bis drei Kindern mit Lernbehinderung eigentlich eine Tandemklasse mit sowohl einer Lehrkraft und einer sonderpädagogischen Fachkraft vorgesehen. Doch nicht einmal jede zehnte Regelschule mit inklusiven Klassen in Bayern verfügt dauerhaft über eine solche Doppelbesetzung, wie die Lehrer-Umfrage ergab.
Kultusministerium: 1.400 neue Stellen seit 2011
Das bayerische Kultusministerium verweist auf sogenannte „Mobile Sonderpädagogische Dienste“, die von Regelschulen in Anspruch genommen werden könnten. Doch die kämen oft nur zum Testen und seien „gleich wieder weg“, beklagt Bösl.
Das Ministerium verweist auf die „schrittweise Verbesserung der Rahmenbedingungen – auch durch Aufbau zusätzlichen Personals für die Inklusion in den jeweiligen Schularten“: So seien in den letzten 14 Jahren – seit das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz die Inklusion an Regelschulen festgeschrieben hat – insgesamt 1.400 neue Stellen für diesen Bedarf geschaffen worden.
31.000 Kinder mit Behinderung an Regelschulen
Insgesamt würden in Bayern „aktuell über 31.000 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischer Förderung an einer allgemeinen bildenden Regelschule unterrichtet, das entspricht ca. 35,8 Prozent“, schreibt das Kultusministerium auf BR-Anfrage. Und rechtfertigt sich: „Dass dieser Anteil in anderen Bundesländern höher liegen mag, liegt am (…) Bayerischen Weg der Inklusion, mit dem sich Bayern bewusst für den Erhalt der Förderschulen entschieden hat.“
Ministerium: Viele Eltern wollen Förderschulen
Die hohen Anmeldezahlen an Förderschulen (fürs kommende Schuljahr fehlen in Bayern sogar für 300 Schülerinnen und Schüler mit Handicap noch Förderplätze) sind laut Kultusministerium „der beste Beleg für die hervorragende Arbeit, die an den Förderschulen geleistet wird. Sie zeigen, dass eine Beschulung aller Kinder an den Regelschulen – wie sie hier im Raum steht – nicht dem Wunsch eines großen Teils der Eltern entspricht“, so das Ministerium in seiner Antwort an den BR.