„Food Noise“ ist eine Bezeichnung für unaufhörliches Denken an Essen: Was esse ich als Nächstes, wie viele Kalorien sind das, darf ich mir das gönnen? In gewisser Weise kennen wir alle ein wenig „Food Noise“, erklärt Professorin Katja Kröller, Ernährungspsychologin an der Hochschule Anhalt. Nämlich dann, wenn wir Hunger haben: „Dann machen wir uns Gedanken über Essen, haben mehr Lust auf Essen, uns fallen Rezepte ein. Aber es kann sich zu einem Zustand verstärken, den man nicht mehr angenehm findet: ein Belastungsfaktor, etwas Zwanghaftes.“
„Food Noise“ durch Werbung, Social Media und Diäten
„Food Noise“ ist kein Krankheitsbild und auch kein neues Phänomen. Ernährungspsychologen kennen die Erzählungen von den „quälenden Stimmen im Kopf“ vor allem aus dem Bereich der Essstörungen. Dennoch ist nicht vollständig geklärt, woher die Zwangsgedanken rund ums Essen kommen. Kröller vermutet, dass viele verschiedene Ursachen zusammenspielen, genetische Faktoren genauso wie gesellschaftliche Einflüsse: penetrante Werbung, aggressive Social Media-Kampagnen zur Selbstoptimierung oder Diäten, die immer wieder etwas Neues erlauben oder verbieten.
Letzteres wurde besonders deutlich im „Minnesota Starvation Experiment„ [externer Link] während des Zweiten Weltkrieges. 36 junge Männer wurden damals sechs Monate lang auf eine strenge Diät gesetzt. Die Teilnehmer begannen während des Experiments intensiv über Essen zu fantasieren, Kochbücher zu sammeln; einige überlegten sogar, eine Karriere in der Gastronomie zu beginnen.
Seit 2022 steigt das Interesse am Begriff „Food Noise“
Der Begriff „Food Noise“ tauchte 2006 zum ersten Mal in den Internet-Suchmaschinen [externer Link] auf. Mitte 2022 ging es dann mit den Anfragen steil bergauf. Eine Studie [externer Link] weist darauf hin, dass zu dieser Zeit die neuen Abnehmspritzen (wie Wegovy oder Mounjaro) auf den Markt kamen. Eine weitere Studie [externer Link] sammelte Berichte von Patienten, die besagten, dass die quälenden Stimmen unter dem Einfluss der Medikamente plötzlich verstummten.
Forschende entwickelten aus den Berichten einen „Food noise“-Fragebogen [externer Link] für klinische Untersuchungen. „Ich finde das total spannend“, sagt Ernährungspsychologin Kröller: „Das zeigt, wie eng psychologische und physiologische Prozesse miteinander verwoben sind.“
Mounjaro und Wegovy lassen „Food Noise“ verstummen
Die Wirkstoffe der Medikamente ahmen die Mechanismen der körpereigenen Hormone GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid) nach. Diese regulieren vor allem Magenentleerung und Blutzucker. Doch die Psychiatrie-Professorin Carolina Haass-Koffler von der US-amerikanischen Brown University merkt an: „GLP-1-Rezeptoren sitzen auch in wichtigen Bereichen des Belohnungssystems im Gehirn, etwa in der Amygdala, wo unsere Emotionen angesiedelt sind oder dort, wo wir Erinnerungen ablegen“. Das könnte der Grund sein, warum die Zwangsgedanken unter den Abnehmspritzen plötzlich aufhören: „Durch die GLP 1-Medikamente wird der Dopamin-Ausstoß reduziert“, erklärt sie. Damit verändert sich, wie stark Belohnungsreize wahrgenommen werden.
Abnehmspritzen als Mittel gegen Sucht?
Das gilt nicht nur für übermäßiges Essen: Eine Studie zeigte, dass Menschen, die die Abnehmspritzen benutzen, auch weniger Lust auf Alkohol haben. Prof. Haass-Koffler meint, dass die impulsdämpfenden Eigenschaft der Medikamente sogar „einen Wendepunkt in der Suchtforschung“ darstellen könnte. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, ob man die Arzneimittel schon früher einsetzen sollte, bevor die Patienten adipös oder alkoholabhängig geworden sind.
Lebensfreude oder „Food Noise“ – Muss man sich entscheiden?
Einen Wermutstropfen scheint es aber zu geben: Bei einigen Patienten verstummt nicht nur der „Food Noise“, sondern die Lebenfreude insgesamt nimmt merkbar ab. „Sie sagen, sie fühlten sich ‚flach‘, sie hätten weniger Lust zu essen, der Alkoholkonsum geht zurück, aber sie haben auch weniger Lust, überhaupt irgendwas zu machen. Das Medikament dämpft wohl ganz allgemein starkes Verlangen“, berichtet Haass-Koffler.
Müssen sich Mounjaro- und Wegovy-Nutzer also zwischen Lebensfreude und „Food Noise“ entscheiden? „Ich sehe Chancen dafür, dass man sich nicht entscheiden muss“, meint Ernährungspsychologin Katja Kröller. Sie empfiehlt, dem Essen ganz bewusst Aufmerksamkeit zu schenken: langsamer, bewusster Genuss ohne Ablenkung, neue Rezepte ausprobieren – und auch Dinge erforschen, die Freude machen, ohne mit Essen zu tun zu haben.

