Es ist im Prinzip nichts Neues, dass Menschen hinter dem Lenkrad zu anderen Wesen werden. Aber aus dem Mund eines Wissenschaftlers hört es sich dann doch nochmal anders an: Die Emotionalisierungsschwelle im Verkehr sei sehr niedrig, sagt Michael Schreckenberg, Professor für Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg, Essen. Personen, die im normalen Leben eigentlich recht friedfertig und zurückhaltend seien, würden im Auto oft förmlich zum Tier, so der Stauexperte. Einer der Stressfaktoren: Wartezeiten an Ampeln.
Trafficpilot will für grüne Welle sorgen
Insofern ist der Ansatz des Münchner Unternehmen Gevas sicher nicht verkehrt. Die Firma programmiert unter anderem Software für die Steuerung von Ampeln. Diese Daten lässt das Unternehmen – wenn die Stadt es erlaubt – in die App Trafficpilot einfließen und versucht damit, die Wartezeiten an Ampeln zu verringern. Autofahrer bekommen auf dem Handy angezeigt, ob sie schneller oder langsamer fahren sollen, um eine grüne Phase zu erwischen. Die App ist bereits in mehreren Städten im Einsatz, darunter Düsseldorf, Frankfurt am Main und Ingolstadt. Jetzt kommt gerade Erfurt dazu.
Schnell installiert, simpel in der Anwendung
Traffic Pilot gibt es für Apple-Geräte genauso wie für Android-Handys. Die Installation ist einfach, die Anzeige übersichtlich. Nähert man sich einer Ampel wird eine auf dem Display symbolisierte Straße rot und grün unterlegt. Je nachdem, ob die Geschwindigkeit passt, befindet sich ein Pfeil, der für das eigene Auto steht, im grünen oder roten Bereich. Dazu sagt eine Stimme die Geschwindigkeit an, auf die man runterbremsen oder hochbeschleunigen müsste. Ein Problem ist allerdings: wer ein Navi benutzen will, hat schon zwei Bildschirme, die er im Auge behalten muss.
Bislang gibt es zu wenige User
Wenn genügend Autofahrer die App nutzen, soll das den Verkehr insgesamt flüssiger machen, wie der Vertriebsleiter von Gevas, Michael Neuner, erklärt. Weniger Stop-and-Go würde auch mit weniger Spritverbrauch und geringerem Schadstoffausstoß einhergehen. Bislang wurde die App insgesamt erst gut 20.000 mal heruntergeladen. Damit hat man mit Sicherheit noch keine kritische Größe erreicht. Stauexperte Schreckenberg ist ohnehin skeptisch. Er entgegnet, Leute, die nicht in dem System drin seien, würden den möglichen Effekt komplett zerstören. Im Prinzip reichen ein oder zwei Autofahrer, die nicht wissen, dass sie für die nächste Grünphase etwas schneller fahren müssten, damit alle wieder bei rot an der Ampel landen.
Gas geben und Drängeln?
Schreckenberg verweist auch auf negative Effekte, „weil das animiert, Gas zu geben, dass ich gerade noch bei Gelb durchkomme, was ja eigentlich auch verboten ist, so dass man das als Sport betreiben könnte.“ Die App könnte also auch zum Drängeln animieren. Geschwindigkeitsbegrenzungen werden allerdings im Display angezeigt und wer nur durch Überschreitungen ein Grün erreichen würde, den unterstützt das Programm dabei nicht. Und auch wenn die App gegen Staus machtlos ist, individuell kann es durchaus für Entspannung und weniger Spritverbrauch sorgen, wenn man die Ampelschaltungen besser vorhersehen kann.
Grüne Welle für Radfahrer
Beim Ausrollen der App hängt das Münchner Unternehmen von den Stadtverwaltungen ab. Die muss die Verknüpfung mit den Ampeln erlauben. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Radl-Modus: die App kann auch Fahrradfahrer auf die grüne Welle bringen. Zum einen indem es eben auch hier die Ampelschaltungen vorhersagt.
Zum anderen kann aber wiederum die Stadt die App nutzen, um Radfahrern gezielt zu priorisieren. Die Ampel bekommt dann von der App ein Signal und schaltet für Radler grün – querlaufender Autoverkehr hat dagegen Rot. Düsseldorf probiert diese Möglichkeit gerade aus. Und wenn dadurch tatsächlich mehr Menschen in den Städten auf´s Rad umsteigen sollten, dann würde die App tatsächlich CO2 einzusparen helfen.