Es klingt nach einem typischen Internetvideo: Ein Hund legt verstohlen die Pfote auf ein Leckerli, das vermeintlich unbemerkt von Herrchen oder Frauchen fallen gelassen worden ist, beobachtet die Umgebung und verschlingt die unerlaubte Beute blitzschnell, sobald niemand hinsieht. Steckt dahinter mehr als Instinkt? „Überlegen“ Hunde tatsächlich, ob sie beobachtet werden?
Diese Frage untersuchte das Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Die Ergebnisse der Studie wurden 2024 im Fachjournal Communications Biology (externer Link) veröffentlicht – mit spannenden Erkenntnissen zu den kognitiven Fähigkeiten von Hunden.
Können Hunde die Perspektive von Menschen einnehmen?
Im Zentrum der Studie stand die Frage, ob Hunde zur sogenannten Perspektivenübernahme fähig sind. Gemeint ist damit die Fähigkeit, einzuschätzen, was ein Mensch sieht oder wahrnimmt, selbst wenn diese Person nicht direkt sichtbar ist.
Hunde kombinieren Gesehenes mit Gehörtem
Die 73 teilnehmenden Hunde wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. In einer Vorbereitungsphase durften sie sich frei im Raum bewegen. Dabei beobachteten sie, an welcher Stelle im Raum die menschliche Versuchsperson Karotten schnitt (begleitet vom typischen Schneidgeräusch). Im Raum befanden sich außerdem zwei Futterstellen, aber nur eine war aus der Position der Versuchsperson sichtbar, die andere nicht.
Der Test: Hören statt sehen – die Hunde treffen eine Wahl
In der eigentlichen Testsituation war die Versuchsperson nicht mehr im Raum. Stattdessen hörte eine Gruppe der Hunde das Geräusch des Karottenschneidens über einen Lautsprecher – ein Geräusch, das sie zuvor mit der Anwesenheit der Person an einer bestimmten Stelle im Raum verknüpft hatten. Die Kontrollgruppe hörte hingegen neutrale Straßengeräusche.
Im Test konnten die Hunde entscheiden, ob und an welcher Stelle sie unerlaubterweise Futter stibitzten. Die entscheidende Frage war: Wählten sie den Napf, der vom vermuteten Standort der Person aus sichtbar gewesen wäre – oder den, der außerhalb ihres Blickfelds lag?
Das Ergebnis war deutlich: Wenn das Schneidegeräusch zu hören war, wählten 28 von 36 Hunden den nicht einsehbaren Teller, obwohl dieser Teller näher an der Stelle stand, an der der Mensch zuvor Karotten geschnitten hatte. Für Studienleiter Ludwig Huber ist das ein klarer Hinweis darauf, dass Hunde das Geräusch mit der zuvor beobachteten Position der Person verknüpften – und daraus den Schluss zogen, wo sie am besten unbeobachtet Leckerlis erbeuten konnten.
„Die Hunde schienen bewusst den Blickkontakt mit der vermuteten Person zu vermeiden – selbst wenn sie diese gar nicht sehen konnten“, so Huber. Dass sie den nicht einsehbaren Teller bevorzugten, obwohl dieser näher am vermuteten Standort der Person lag, spricht zusätzlich für eine strategische Entscheidung: lieber näher an der Gefahr, aber außerhalb des Sichtfelds.
Kein Zufall, sondern kognitive Leistung
Die Hunde erinnerten sich offenbar daran, wo sich die Person befand, als sie das Schneidegeräusch hörten, und folgerten daraus, aus welcher Perspektive sie nun möglicherweise gesehen würden. In der Kontrollgruppe, bei der Straßengeräusche abgespielt wurden, zeigte sich dieses Verhalten nicht. Das spricht gegen einen Zufall und für echtes kognitives Schlussfolgern. Christoph Völter, Koautor der Studie, erklärt: „Die Hunde haben gelernt, dass das Geräusch mit einer bestimmten Perspektive eines Menschen verbunden ist – und nutzen dieses Wissen, um sich zu orientieren.“
Wie schlau sind Hunde wirklich?
Die Studie zeigt, dass Hunde auditive Reize mit früheren visuellen Erfahrungen verknüpfen können – eine Fähigkeit, die auf komplexen kognitiven Prozessen beruht. Sie schließen nicht nur aus Erfahrung, sondern handeln strategisch: möglichst nicht gesehen werden, wenn sie etwas Verbotenes tun, auch wenn man sich in der Nähe des Menschen befindet. Das lässt darauf schließen, dass Hunde zumindest in bestimmten Kontexten mitdenken und vorausdenken – besonders dann, wenn Futter im Spiel ist.
Hunde handeln überlegt – besonders beim Klauen
Ob es sich dabei um echte „Theorie des Geistes“ handelt – also die Fähigkeit, sich vorzustellen, was andere denken, ist wissenschaftlich umstritten. Klar ist aber: Hunde kombinieren Wahrnehmungen auf erstaunlich durchtriebene Weise. Wer also denkt, er könne seinen Hund mit einem simplen „Ich gehe mal kurz raus“ täuschen, kennt ihn schlecht. Die Vierbeiner wissen genau, wann sie sich unbemerkt bedienen können.