Früher Morgen in Altenstadt im Landkreis Neu-Ulm: Norbert Baumgärtner hängt das Vogelfutter auf. Das holt er jeden Abend ins Haus, sonst macht sich in der Nacht jemand daran zu schaffen: Waschbären. Aufnahmen einer Wildkamera zeigen, wie sie am Baum entlang klettern und mit dem Kopf nach unten hängend die Meisenknödel aus der Halterung schütteln. „Die erste Emotion war: Mist! Aber auch: Was unternehme ich jetzt, damit die nicht bei mir im Garten heimisch werden?“, sagt Baumgärtner.
Waschbären breiten sich in Bayern aus – Abschusszahlen steigen
Konkrete Daten zur Verbreitung und Populationsentwicklung des Waschbären in Bayern existieren nicht. In einer schriftlichen Anfrage an die Bayerische Staatsregierung im Jahr 2024 heißt es aber, dass die stetig steigenden Abschusszahlen auf einen Anstieg der Waschbärpopulation in Bayern hindeuten. Waren es bayernweit im Jagdjahr 1983/1984 noch 45 erlegte Tiere, ist die Abschusszahl 2023/2024 auf mehr als 6.700 Waschbären angestiegen. Jäger sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Waschbären als invasive Art zu schießen.
Waschbären haben keine natürlichen Feinde
Die Waschbären kommen laut Staatsregierung besonders in Mittel- und Unterfranken vor, aber auch in Schwaben dürften mittlerweile immer mehr Tiere leben. Waren es etwa im Landkreis Neu-Ulm im Jahr 2018 noch 13 erlegte Waschbären, kam die Region 2024 schon auf 83. Jäger Thomas Stepanski hält die Bejagung der invasiven Art deswegen für notwendig. Denn der Waschbär habe keine natürlichen Feinde, sie seien zudem Allesfresser und würden dadurch heimische Tier- und Pflanzenarten bedrohen.
Tierschützer kritisieren Abschuss
Waschbären schießen, um andere Tiere zu schützen – das ist umstritten. Denn eine Studie aus Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass der Waschbär weniger schädlich ist als gedacht, gerade für bedrohte Tierarten. Berechnungen hätten demnach gezeigt, dass die meisten im Gebiet vorhandenen geschützten Arten nicht zum Beutespektrum der Waschbären gehörten.
Die Jagd auf Waschbären hält Sabrina Schrauf deswegen für einen Fehler. Sie leitet eine Wildtierrettung im baden-württembergischen Merklingen, nahe der bayerischen Grenze. Außerdem pflegt sie seit Jahren privat drei Waschbären in einem großen Gehege. Vieles deute darauf hin, dass mit der Bejagung die Population gar nicht sinke, sagt die Tierschützerin. Stattdessen würden die Tiere früher und öfter Nachwuchs bekommen. „Teilweise schon 13 Monate alte Fähen [weibl. Tier beim Waschbär, Anm. d. Redaktion], die sind völlig überfordert damit. Es sind Teenager. Normalerweise hat der Waschbär mit zwei oder drei Jahren das erste Mal Nachwuchs.“
Überforderte Waschbär-Mütter lassen ihre Kleinen zurück. Wenn die dann der Mensch findet und in Obhut nimmt, darf er sie nicht wieder auswildern. Das sind die gesetzlichen Vorgaben.
Sterilisierung statt Bejagung
Es gäbe aber eine andere Lösung, sagt Schrauf: „Lasst uns jetzt die Waschbären, die draußen leben, sterilisieren.“ Dann habe man in Süddeutschland eine stabile Population. Denn unfruchtbare Tiere würden trotzdem jahrelang ihr Revier verteidigen, der Nachwuchs aber ausbleiben. Kassel in Hessen habe gerade ein solches Pilotprojekt gestartet.
Jäger Stepanski ist nicht überzeugt. Er warnt vor den Kosten und rechtlichen Problemen. Außerdem würden auch sterilisierte Tiere Schäden verursachen. Und Anwohner Norbert Baumgärtner will reifes Obst künftig möglichst schnell aus seinem Garten holen – in der Hoffnung, dass die nächtlichen Besuche in Zukunft die Ausnahme bleiben.