Einsamkeit bleibt das Hauptthema
Die neue Studie des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap) im Auftrag der bayerischen Telefonseelsorge zeigt: Die Anonymität und ständige Erreichbarkeit machen das Angebot einzigartig. Motschenbacher bestätigt das: „Wir sind erreichbar, wenn alle Arztpraxen, Therapeuten und Beratungsstellen geschlossen haben – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.“
Thematisch spiegle sich das ganze Leben wider, sagt er: „Das größte Thema mit Abstand ist Einsamkeit.“ Während bei den Anrufen vor allem Menschen über 40 Hilfe suchen, sind bei den Chats über 70 Prozent unter 40.
Die Soziologin Miriam Zimmer, Co-Autorin der Studie, spricht von einer einzigartigen Form der Zuwendung: „Mit der Telefonseelsorge kann man auch zusammen beten, man kann Sinnfragen klären, die an anderer Stelle keinen Platz haben“, so Zimmer.
Ehrenamt auf Kante genäht
In Bayern halten rund 1.200 Ehrenamtliche gemeinsam mit 34 Hauptamtlichen den Betrieb am Laufen. Sie übernehmen Nachtschichten, begleiten Anrufende und bilden sich fortlaufend weiter. „Unsere Ehrenamtlichen sind über Jahre, oft Jahrzehnte bei uns“, sagt Motschenbacher. Viele sind zwischen 60 und 80 Jahre alt, hoch engagiert, aber auch am Limit.
„Es gibt Stellen, wo jemand mit zehn Stunden in der Woche versucht, einen 24/7-Betrieb für Ehrenamtliche aufrechtzuerhalten – das ist selbstausbeuterisch“, sagt Motschenbacher. Die Studie bestätigt die Überlastung der Hauptamtlichen, bei gleichzeitig hoher Zufriedenheit mit der Arbeit.
Auch die Ehrenamtliche Tanja Maier, die seit Jahren Anrufe entgegennimmt, weiß, wie viel die Gespräche bedeuten können. „Ein Vater rief mich aus dem Hotel an, seine Tochter lag mit einem Aneurysma im Krankenhaus. Er war allein und musste einfach sprechen“, erinnert sie sich. „Ich weiß ja nicht, was danach passiert – aber solche Gespräche gehen einem sehr nahe.“
Kirche, die wirkt – aber Geld fehlt
Die Studie trägt den Titel „Hier liegt die Kirche der Zukunft“ – und meint damit eine Kirche, die offen, ökumenisch und gesellschaftlich relevant ist. Für viele sei die Telefonseelsorge der Ort, an dem Kirche erfahrbar bleibe, auch ohne Bindung an die Institution.
Finanziert wird das Angebot zu über 90 Prozent aus Kirchensteuermitteln, ergänzt durch Zuschüsse und Spenden. Doch die sinkenden Einnahmen spüren alle Stellen. „Dann wird überlegt: Die Telefonseelsorge kann doch auch mit weniger auskommen“, sagt Motschenbacher. „Aber das System läuft wirklich auf Kante.“
Digital wird wichtiger – ohne KI
Um jüngere Menschen zu erreichen, setzt die Telefonseelsorge zunehmend auf digitale Kanäle. Schon heute gibt es Seelsorge per Mail und Chat, künftig könnten auch Messenger-Dienste dazukommen. „Für Jüngere ist es selbstverständlich, zu chatten. Für Ältere bleibt das Telefon wichtig – wir fahren mehrgleisig“, sagt Motschenbacher.
Künstliche Intelligenz wird in der Seelsorge – Stand heute – dagegen keine Rolle spielen. „Wir werden KI nicht benutzen, weil das persönliche Gespräch ein anderer Zugang ist. Wir wollen ganzheitlich für den Menschen da sein – als Menschen für Menschen“, sagt Motschenbacher.
Telefonseelsorge mehr als ein Krisendienst
Die Studie zeigt, dass die Telefonseelsorge in Bayern längst mehr ist als ein Krisendienst: Sie ist für viele Menschen ein emotionaler Rettungsanker – anonym, verlässlich und menschlich. Oder wie es die Studie selbst formuliert: Die Telefonseelsorge ist ein Beispiel, „wie Kirche für alle Menschen wirksam sein kann“.

