Im Sommer hat ein Vorschlag aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für intensive Debatten gesorgt: Ruheständler mit besonders hohen Bezügen sollten etwas abgeben, um niedrige Renten aufzustocken, so das DIW. Auch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund hat sich mit der Idee eines „Boomer-Soli“ befasst und kommt zum Ergebnis: Innerhalb des Systems der gesetzlichen Rente habe eine Umverteilung wenig bis gar keinen Sinn. Wer Altersarmut bekämpfen wolle, müsse andere Wege suchen.
Niedrige Rente, hohe Gesamt-Bezüge
Es gebe ein großes Missverständnis, wenn es um niedrige Renten geht, erklärt die DRV-Präsidentin Gundula Roßbach. Wer nur einige hundert Euro Monatsrente hat, sei keineswegs automatisch armutsgefährdet, im Gegenteil: Menschen mit besonders geringen Renten haben in der Summe überdurchschnittlich hohe Altersbezüge. „Da muss man genau hinschauen“, sagt Roßbach.
Im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung [externer Link] lassen sich Zahlen finden, die auf den ersten Blick paradox wirken: Die Gruppe der Männer, die weniger als 500 Euro gesetzliche Rente haben, steht unterm Strich bei der Summe aller Altersbezüge recht gut da: Auf 2.752 Euro brutto kommen diese Ruheständler.
Damit erreichen diejenigen, die weniger als 500 Euro gesetzliche Rente haben, deutlich höhere Gesamt-Bezüge als Männer, die Renten zwischen 1.000 und 1.500 Euro erhalten. Wer eine solche gar nicht seltene Rentenhöhe hat, kommt im Schnitt insgesamt auf 1.873 Euro. Die Bezieher von Kleinst-Renten stehen insgesamt im Alter also um rund 900 Euro besser da als die Bezieher von Renten im unteren Mittelfeld.
Kleinrenten oft bei Freiberuflern und Beamten
Die Erklärung für die auf den ersten Blick widersprüchlichen Zahlen liegt im Mix verschiedener Altersversorgungssysteme. Unter denen, die nur einige hundert Euro gesetzliche Rente bekommen, seien viele Menschen, die zunächst als Angestellte gearbeitet haben und dann eine Beamtenlaufbahn eingeschlagen oder sich selbständig gemacht haben, etwa als Ärzte, Architekten oder Anwälte, erklärt die DRV-Chefin Roßbach. In diesem Fall sind sie als Beamte über das Pensionssystem abgesichert oder als Selbständige über berufsständische Versorgungswerke. Diese oft vergleichsweise hohen Zahlungen addieren sich dann zur geringen gesetzlichen Rente.
Rentensystem für Solidarausgleich wenig geeignet
Innerhalb des Systems der gesetzlichen Rente am unteren Ende etwas draufzulegen, helfe also möglicherweise Menschen, die eigentlich keinen Solidarausgleich brauchen, stellt Roßbach fest. Gleichzeitig sei am oberen Ende nicht besonders viel zu holen: Mehr als 2.400 Euro Rente im Monat haben derzeit 16 Prozent der Männer und nur rund drei Prozent der Frauen.
Andere Länder mit anderen Traditionen
Es gebe durchaus Länder, bei denen ein solidarischer Ausgleich in der Altersversorgung sinnvoll umgesetzt werden könne, sagt Roßbach und nennt als Beispiele die USA oder die Schweiz. Dort gebe es aber schon lange Erwerbstätigenversicherungen, in die so gut wie alle einzahlen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen. „In Deutschland ist das System mit verschiedenen Sondersystemen für bestimmte Gruppen dagegen so fragmentiert, dass eine Umverteilung innerhalb der Versicherten beziehungsweise Rentenempfänger nicht zielgenau möglich ist“, stellt die Rentenversicherungs-Chefin fest.
Wenn es politisch gewollt sei, Menschen mit geringen Altersbezügen besser zu stellen, sei daher in Deutschland ein anderer Weg sinnvoller: Über die Steuer. „Hier liegen alle relevanten Informationen zum Einkommen für alle Personen vor, so dass ein zielgerichtetes Vorgehen möglich ist“, erklärt Roßbach.
Eine Rente für alle?
Grundsätzlich denkbar wäre es nach Einschätzung der DRV-Präsidentin, auch in Deutschland eine Erwerbstätigenversicherung einzuführen. Ob das insgesamt gesellschaftlich wünschenswert sei, will Roßbach aber nicht bewerten. Zu den Aufgaben der Rentenversicherungs-Chefin gehört es, die Situation der Rente darzustellen, nicht aber, sie politisch zu kommentieren.
Solche Bewertungen nehmen in der Rentenversicherung die Vertreter der Selbstverwaltung vor, die von den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften benannt werden. Bei anderen rentenpolitischen Themen gibt es in der Selbstverwaltung viel Einigkeit. Beim Thema Erwerbstätigenversicherung sind sich beide Seiten einig, dass sie uneinig sind: Die Arbeitgeberverbände lehnen ein Rentensystem für alle ab, die Gewerkschaften sind grundsätzlich für ein einheitliches System.

