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Immer wieder wird darüber gesprochen, ob es sinnvoll ist, gewisse Länder als Urlaubsziel zu meiden: Ungarn wegen Viktor Orbán, Katar während der Fußball-WM 2022, die USA wegen der Trump-Regierung oder die Türkei aufgrund der aktuellen Proteste gegen die Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu.
So schrieb BR24-User „Cosi“ angesichts eines Boykottaufrufs der türkischen Opposition: „Ich kaufe seit Jahren nichts aus der Türkei, Urlaub mache ich nur in der Europäischen Union. (…)“ Doch Nutzer „HP1“ fragte wiederum: „Wer wird schon zugunsten der türkischen Demokratie und der unterdrückten Bevölkerung auf seinen Billigurlaub in der Türkei verzichten? Das werden nicht viele sein.“
BR24-User „GegenHetzt“ ist jedenfalls der Auffassung, dass ein Boykott durchaus etwas bringen kann: „Erdogan hat mal hinterrücks zwei russische Kampfflugzeuge abgeschossen. Putin hat nichts gemacht, außer die Türkei als Urlaubsland für seine Russen zu sperren. Hat nicht lange gedauert und Erdogan hat sich entschuldigt, d.h. URLAUBSBOYKOTT ist ein erwiesenermaßen wirkungsvolles Instrument, leider haben wir zu viele Menschen ohne jegliches Demokratieverständnis wenns um billig geht.“
Wirtschaftsfaktor Tourismus
Dass der Tourismus für viele Länder eine wichtige Einnahmequelle ist, ist unumstritten. „Exporteinnahmen aus dem internationalen Tourismus sind für viele Reiseziele eine wichtige Quelle für Auslandseinnahmen und tragen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Förderung des Unternehmertums und zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft bei“, schreibt die Welttourismusorganisation (UN Tourism) in ihrem internationalen Tourismusbericht (externer Link).
Wie wichtig ist der Tourismus für die Türkei?
Mehr als 6,5 Millionen Deutsche haben 2024 in der Türkei Urlaub gemacht. Damit sind sie in dem Land nach den Russen die zweitgrößte Touristengruppe. Vor allem der Pauschalurlaub ist beliebt. Laut Zahlen des Deutschen Reiseverbandes DRV wird die Türkei auch in diesem Jahr wieder das Top-Reiseziel bei der Kategorie Pauschalurlaub mit Flug.
Trotzdem sind die Einnahmen durch Tourismus in der Türkei nicht gerade üppig. Weniger als 5 Prozent des gesamten Brutto-Inlandsprodukts (BIP) das Landes (externer Link) kommen aus dieser Sparte. Bei Spanien und Frankreich liegt der Anteil mit zwölf beziehungsweise sieben Prozent höher. In den USA spielen Einnahmen durch ausländische Touristen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
2016 und 2017 ging die Anzahl der Reisenden in der Türkei stark zurück. Im Juli 2016 war es zu einem Putschversuch gekommen. Ob Reisen in dieser Zeit aus ideologischen Gründen nicht stattfanden oder wegen Sicherheitsbedenken, lässt sich den Zahlen nicht entnehmen.
Reiseverband: Boykott nicht sinnvoll
Der Deutsche Reiseverband sagt auf BR-Nachfrage: „Aus unserer Sicht ist der Boykott von Urlaubsländern, um die jeweiligen Regime nicht zu unterstützen, nicht der richtige Weg. Reisende haben die Möglichkeit, Veränderungen herbeizuführen und politische Wandlungsprozesse zu unterstützen.“ Ziel müsse sein: Menschen informieren, Begegnungen und kulturellen Austausch schaffen. „Werden Reisen nicht mehr durchgeführt, schadet das der Destination und den dort lebenden Menschen in der Regel am meisten.“
Auch NGOs halten sich mit Aufrufen zurück
Selbst zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar, in deren Umfeld viel über die schlechte Situation der Arbeiter vor Ort berichtet wurde, rief Amnesty International nicht zum Boykott der Veranstaltung beziehungsweise einer Reise in das Land auf. „Um Druck auf die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen auszuüben und Verbesserungen zu erreichen, braucht es verschiedene, sich ergänzende politische Mittel“, hieß es. Boykott könne eines davon sein, doch „wir unterstützen einen Boykott nur dann, wenn wir alle zumutbaren Anstrengungen gegenüber einem Unternehmen oder einem Land unternommen haben, aber keine Änderung des Verhaltens erfolgt ist“.
Ähnlich sieht das die Schweizer Nicht-Regierungs-Organisation „fair unterwegs“. Sie weist ebenfalls darauf hin, dass ein Tourismusboykott in einen weitergehenden Boykottaufruf im wirtschaftspolitischen Bereich eingebettet sein sollte. Außerdem empfiehlt die Organisation, darauf zu achten, ob auch „die Einheimische dazu aufrufen bzw. wir von demokratisch repräsentativen einheimischen Kräften klar wissen, dass ein Boykottaufruf an Reisende und die Reisebranche gewünscht wird“.
Bei „Brot für die Welt“ spricht man sich für eine differenzierte Betrachtung aus. Man müsse sehr genau schauen, wer vom Tourismus profitiere, erklärt die Referentin der Fachstelle Tourism Watch, Alien Spiller. Ein Boykott treffe häufig besonders Kleinstunternehmen und informell Beschäftigte. Urlauber müssten nach verschiedenen Strategien suchen, damit möglichst wenig Geld in die Staatskasse fließe und möglichst viel bei den Menschen vor Ort ankomme. Spiller empfiehlt zum Beispiel, kleinere Anbieter zu suchen, die unabhängig seien, und alternative Reiseangebote zu nutzen.