Anfang Dezember 2022 hat der Wirecard-Prozess begonnen. Nach mehr als 200 Verhandlungstagen befindet er sich auf der Zielgeraden. „Wir sind jetzt in der Endphase“, so Richter Markus Födisch an einem der letzten Prozesstage vor der Sommerpause.
Insolvenzverwalter-Vernehmung als Höhepunkt der Beweisaufnahme
Mit der Vernehmung von Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé Anfang Juli hatte die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ihren Höhepunkt erreicht. In seiner mehrstündigen Vernehmung machte Jaffé unter anderem klar, Wirecard habe nach seinen Erkenntnissen über eine Milliarde Euro verbrannt, um eine Erfolgsgeschichte aufrechtzuerhalten.
Dem Aschheimer Zahlungsdienstleister war im September 2018 der Aufstieg bis in den DAX gelungen, in den Kreis der damals 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. In seiner Aussage hatte Jaffé zudem seine seit Jahren bekannte Position wiederholt, wonach er keine Belege für ein existierendes Geschäft von Wirecard mit ausländischen Drittpartnern („TPA-Geschäft“) gefunden habe. Nach offizieller Darstellung brauchte das Unternehmen diese Partner, um das Online-Geschäft mit Händlern vor allem in Asien abzuwickeln.
Braun beteuert weiter seine Unschuld
Wirecard war Ende Juni 2020 kollabiert, weil 1,9 Milliarden Euro, die auf philippinischen Treuhandkonten liegen sollten, nicht auffindbar waren. Das Geld war nach Wirecard-Angaben ein Sicherheits-Einbehalt aus dem Drittpartner-Geschäft. Nach Überzeugung Jaffés und der Staatsanwaltschaft hat es dieses Geld dort nie gegeben, das entsprechende Business sei frei erfunden gewesen.
Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun bestreitet diese Darstellung bis heute vehement. Nach seiner Überzeugung hat eine Bande rund um den Mitangeklagten Oliver Bellenhaus (Ex-Wirecard-Statthalter in Dubai) und den flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek dem Zahlungsdienstleister zustehende Gelder veruntreut und auf Auslands-Konten geschleust. Unmittelbar nach der Jaffé-Vernehmung hatten Braun und seine Verteidiger Jaffés Ausführungen als „offensichtlich falsch“ bezeichnet.
Braun lieferte sich daraufhin mit der ermittelnden Staatsanwältin in der Hauptverhandlung ein lautstarkes Wortgefecht. „Immer wenn es für Sie nicht gut läuft, kommt eine andere Darstellung. Für mich sind das Geschichten“, hatte die Staatsanwältin damals gesagt.
Wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des bandenmäßigen Betrugs ist neben Braun und Bellenhaus der frühere Konzern-Chefbuchhalter Stephan von Erffa angeklagt. Braun sitzt seit mehr als fünf Jahren in Untersuchungshaft. Bellenhaus, der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gilt, wurde Anfang des vergangenen Jahres nach mehr als drei Jahren Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt. Von Erffa bestreitet wie Braun weiterhin alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe.
Urteil bis Ende dieses Jahres?
Wann die drei Angeklagten mit einem Urteil rechnen können, ist unklar. Offiziell äußert sich das Gericht dazu nicht. Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres gilt nach dem bisherigen Verlauf des Prozesses als sehr wahrscheinlich. Schon vor Monaten hat das Gericht in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft die Anklage verschlankt und auf die wichtigsten Punkte konzentriert, um so das Verfahren zu beschleunigen. Ein Vorgehen, das die Strafprozessordnung ausdrücklich vorsieht.
Für die nächsten Tage und Wochen hat die Kammer weitere und wahrscheinlich letzte Zeugenvernehmungen angesetzt. Mehrere für diesen und den kommenden Monat angesetzte Prozesstage fallen aus. Offizielle Begründung des Gerichts: Die Prozessbeteiligten müssen eine Vielzahl von Akten und Dokumenten durcharbeiten. Parallel zu einer unverändert weiterlaufenden Hauptverhandlung wäre das wohl nicht zu schaffen.