Was wäre uns alles erspart geblieben, wenn ein paar unserer Vorfahren etwas bescheidener gewesen wären? Laut Bibel war es der Versuch, zu Babel einen Turm bis in den Himmel zu bauen, der Gott veranlasste, die Menschen in verschiedenen Sprachen sprechen zu lassen. Aus Angst, der Mensch würde sonst in seinem Streben keine Grenzen mehr kennen.
Diese sogenannte „babylonische Sprachverwirrung“ ist bis heute Fakt. Die Menschheit spricht in tausenden Sprachen, versteht sich nicht. Bis jetzt. Denn nun kommt der US-Tech-Riese Apple.
Übersetzungs-Revolution aus Kalifornien?
So zumindest klingt manche Reaktion auf das „Live Translation“-Feature, das die Kalifornier am Dienstag für ihre Ohrhörer-Marke AirPods vorstellten. Die sollen künftig per KI als digitale Simultandolmetscher funktionieren. Zunächst für Englisch, Französisch, Deutsch, Portugiesisch und Spanisch, ab Ende des Jahres auch für Italienisch, Japanisch, Koreanisch und ein vereinfachtes Chinesisch.
Ein Werbevideo zeigt, wie eine Amerikanerin über einen spanischen Markt läuft und den Dolmetschermodus ihrer Ohrhörer anschaltet. An einem Blumenstand spricht die Verkäuferin auf Spanisch, die AirPod-Trägerin bekommt die Worte der Frau in Echtzeit auf Englisch ins Ohr. Später ist ein Gespräch zwischen zwei AirPod-Trägern zu sehen, die sich in unterschiedlichen Muttersprachen unterhalten – ohne, dass der eine die Sprache des anderen nutzen muss.
Hype im Netz
Im Netz ist man hyped. Ein User trauert bei TikTok bereits der Kulturtechnik des Sprachenlernens nach; eine junge Frau freut sich, dass ihre Nageldesigner künftig nicht mehr unbemerkt über sie lästern können; ein deutscher Nutzer vermutet negative Folgen für Aktien von Sprachlern-Apps wie „Duolingo“; ein britischer Macho-Influencer, glaubt, er könne mithilfe der neuen Technik auf dem Oktoberfest problemlos Frauen ins Bett kriegen.
Gänzlich neu ist, was Apple da präsentiert hat, aber keineswegs. So bieten Samsung, „Honor“ oder Spezial-Anbieter „Timekettle“ bereits Ohrhörer mit ähnlichen Funktionen. In Praxischecks zeigen sie offenbar durchaus ordentliche Ergebnisse, auch wenn laut den Testern noch nicht jedes Wort sitzt.
Der Maschine fehlt etwas
Doch dafür, mit AirPods, aber ohne Sprachkenntnisse auszuwandern, Sprachkurse zu canceln oder in der Schule möglichst viele Fremdsprachen abzuwählen, könnte es noch ein wenig zu früh sein. Die Unterschiede zwischen einem menschlichen und einem KI-betriebenen Dolmetscher sind nämlich laut der Translationswissenschaftlerin Tinka Reichmann von der Uni Leipzig durchaus noch beachtenswert.
Die KI nutze ein lineares Verfahren: Sie hört eine Aussage, verwandelt sie in einen Text, übersetzt ihn automatisch, macht daraus einen möglichst sinnvollen Text in der anderen Sprache und liest ihn dann wieder vor. Der Mensch nutzt dagegen seine Kognition: „Menschliche Dolmetscher verstehen und interpretieren eine Aussage mit ihrem Wissen über die Welt, das Zeitgeschehen, kulturelle Unterschiede, Kontexte, Dialekte, Ironie, Tabus, innere Logiken“, erklärt Reichmann gegenüber BR24.
Diese menschliche Interpretation könne KI so nicht leisten. Ob der Sprecher etwa mit „Bank“ das Sitzmöbel oder das Finanzinstitut meint, erfasst ein Mensch kognitiv, während die KI per Wahrscheinlichkeitsrechnung rät.
Anwendungsfälle gibt es
Für viele Anwendungsfälle ist ein KI-Dolmetscher wie der von Apple laut Reichmann dennoch völlig ausreichend. Etwa für Unterhaltungen am Blumenstand – zumindest in Sprachen, die weltweit stark genutzt werden. In kleineren Sprachen fehle es dagegen meist am vorhandenen Textmaterial, um einer KI gutes Dolmetschen zu ermöglichen.
Und auch in den weitverbreiteten Sprachen dürfte der KI im Vergleich zum Menschen die Interpretationsfähigkeit in komplexen Gesprächen fehlen. Ob man sich von einer KI ärztliche Diagnosen oder juristische Einschätzungen dolmetschen lassen sollte, ist laut Reichmann daher mindestens fraglich. Zumal KIs – anders als etwa menschliche Dolmetscher bei Gericht – keine Haftung übernehmen.
Doch schon bei viel weniger komplexen Themen kann es mit der KI haarig werden. Etwa wenn die KI gewisse Anspielungen oder Ironie nicht versteht – bei den Wiesn-Flirts, die der oben genannte Content-Creator künftig gerne über Apple-Kopfhörer regeln möchte.