Die Bundesregierung will größere Unternehmen vorübergehend von den Dokumentationspflichten des Lieferkettengesetzes entlasten. Die Regelung solle nicht wie bisher angewendet werden, teilte das federführende Arbeitsministerium am Mittwoch mit. „Gleichzeitig lassen wir beim Kampf gegen Kinder- und Zwangsarbeit sowie dem Schutz vor Arbeitsausbeutung nicht nach“, versicherte Ressortchefin Bärbel Bas (SPD). „Das nationale Gesetz gilt nahtlos weiter, bis das EU-Lieferkettengesetz in deutsches Recht umgesetzt ist.“
Lieferkettengesetz: Wirtschaft wollte komplette Abschaffung
Ein Verstoß gegen die bisherigen Pflichten soll in der Übergangszeit nur in schweren Fällen geahndet werden, etwa bei massiven Menschenrechtsverletzungen. Das Arbeitsministerium rechnet durch das Gesetz mit einer finanziellen Entlastung der Wirtschaft von 4,1 Millionen Euro im Jahr.
Die Menschenrechtsorganisation Oxfam kritisierte, diese Änderung komme einer „dramatischen Entkernung“ gleich. Die Berichtspflichten und die Sanktionen seien die zentralen Werkzeuge, mit denen Unternehmen bislang in die Pflicht genommen werden können.
Weite Teile der Wirtschaft waren gegen das Gesetz Sturm gelaufen. Es wurde als Bürokratiemonster kritisiert. Das Gesetz verpflichtet größere Unternehmen, für Missstände in ihren Lieferketten bei Menschenrechtsverstößen oder Umweltdelikten zu haften. Der Arbeitgeberverband BDA kritisierte zuletzt, dass es jetzt nur um eine Anpassung von Details gehe, keine Abschaffung. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es eigentlich, das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) solle abgeschafft werden. Es werde dann später durch ein europaweit geltendes Gesetz ersetzt. Die entsprechende EU-Richtlinie solle bürokratiearm umgesetzt werden.
Grüne mit heftiger Kritik
Die Grünen kritisieren die schwarz-rote Koalition scharf und werfen ihr vor, die bisherigen Lieferketten-Regeln zu verwässern. Diese sollten eigentlich sicherstellen, dass Unternehmen Menschenrechte achten. Sandra Detzer, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, warf der Regierung vor, die Bedeutung von Transparenz in Lieferketten zu ignorieren. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch nannte die Änderung ein Armutszeugnis. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte er: „Niemand will Schokolade essen, wenn dafür Kinder ausgebeutet wurden. Niemand will ein T-Shirt tragen, wenn Frauen dafür entrechtet werden.“ Die Änderung sende das Signal, dass Menschenrechte für Friedrich Merz „offenbar keine größere Rolle mehr“ spielen.
Auch EU-Richtlinie ausgehöhlt
Das seit 2023 geltende Lieferkettengesetz soll sicherstellen, dass bei Produkten, die im Ausland für den deutschen Markt hergestellt werden, bestimmte Arbeits- und Umweltstandards eingehalten werden. Unternehmen müssen regelmäßig einen Bericht über die Erfüllung dieser Sorgfaltspflichten veröffentlichen. Parallel zum deutschen Lieferkettengesetz gibt es noch eine EU-Lieferkettenrichtlinie, die von den EU-Staaten umgesetzt werden muss. Die EU-Lieferkettenrichtlinie soll Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in ihrer Produktion in die Pflicht nehmen. Auf massiven Druck aus der Wirtschaft haben die EU-Gesetzgeber die Vorschriften um ein Jahr verschoben. Die ersten Regeln sollen nun ab dem 26. Juli 2028 gelten. Ein weiteres Jahr später soll das Gesetz dann voll greifen.
Weitere Lockerungen könnten folgen. Vorschlägen der Kommission zufolge sollen die betroffenen Firmen nicht mehr in ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sicherstellen müssen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Ein Nachweis dafür würde nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle fünf Jahre fällig. Die Kommission will zudem eine vorgesehene EU-weite zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen die Vorgaben einschränken.