Barbara Hobmeier feiert zweimal im Jahr Geburtstag: Den Tag, an dem sie geboren wurde und den Tag, als sie vor 31 Jahren eine neue Leber erhielt. Im Alter von zehn Jahren wurde ihr ein Teil der Leber eines jungen Mannes eingepflanzt. Denn eine seltene Krankheit hatte ihre Leber schwer geschädigt. Ohne diese Spende wäre ihr Leben bereits im Kindesalter vorbei gewesen, erzählt die heute 41-jährige aus Altötting.
Spenderzahl stagniert
Nicht ganz tausendmal pro Jahr werden Menschen in Deutschland nach ihrem Tod Organe entnommen, um sie Schwerkranken einzupflanzen. 953 Organspender und 2.854 (2023: 2.877) gespendete Organe zählt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) fürs vergangene Jahr, 157 davon entfallen auf Bayern. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres ist die Zahl zwar gestiegen, langfristig betrachtet stagniert sie aber auf einem im internationalen Vergleich niedrigen Niveau. Auf eine Million Erwachsene gerechnet, kommen in Deutschland 11,3 Spender, in Spanien beispielsweise liegt die Zahl um mehr als das Vierfache höher – was jedoch auch daran liegt, dass dort die Widerspruchsregel gilt (externer Link): Jeder kann Organspender werden, außer er widerspricht dem zu Lebzeiten ausdrücklich. In der Bundesrepublik gilt dagegen die Zustimmungsregelung.
Dementsprechend bleibt die Zahl der schwerkranken Patienten hierzulande hoch, die auf den Wartelisten für Nieren, Herzen oder Lebern stehen: Mehr als 8.000 sind es bundesweit, rund 1.100 in Bayern.
Angehörige mit Entscheidung überfordert
Der medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, ist sicher, dass die Zahl der Organspender deutlich höher liegen könnte, wenn sich mehr Menschen mit dem Thema befassen würden. In Umfragen geben mehr als 80 Prozent der Befragten an, dass sie Organspenden grundsätzlich befürworten.
Gleichzeitig kommt es regelmäßig vor, dass etwa ein Unfallopfer aus medizinischer Sicht Organe spenden könnte, aber keine Organe entnommen werden, weil kein Organspendeausweis vorliegt und die Angehörigen einer Entnahme widersprechen. Oft geschehe das aus Unsicherheit, ist Rahmel überzeugt: „Die sind konfrontiert mit dem Tod eines geliebten Angehörigen und sollen in dieser Situation entscheiden.“
Rahmel glaubt deshalb, dass die Zahl der Organspenden gesteigert werden könnte, wenn möglichst viele Menschen eine klare Entscheidung träfen und diese dokumentierten. Zwar sind in den vergangenen Jahren viele Millionen Organspendeausweise ausgegeben worden. Nach Rahmels Schätzung hat aber nur etwa ein Siebtel der Erwachsenen den eigenen Willen klar schriftlich niedergelegt. Ein neues Online-Organspenderegister, das es seit gut einem Jahr gibt, hat erst rund 320.000 Einträge.
Forderung nach Widerspruchslösung
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) will nicht nur mit Appellen die Zahl der Organspenden steigern. Sie fordert, das Gesetz zu ändern, das die Organspende regelt. Bislang gilt, dass ein potenzieller Spender entweder selbst zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt haben muss oder, dass seine Angehörigen zustimmen. Mit der bereits oben beschriebenen Widerspruchslösung gelten alle Menschen erst einmal als Organspender, sei denn, sie widersprechen ausdrücklich.
Sie sei von einem fest überzeugt, sagt Gerlach: „Dass mit der Widerspruchslösung mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderorgan erhalten, weil die Organspende dann einfach der Normalfall wäre.“
Nach einer Übersicht der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist die Zahl der Organspenden gerechnet auf die Einwohnerzahl in Ländern mit Widerspruchslösung in der Regel deutlich höher als in Deutschland.
Bisher keine parlamentarische Mehrheit
Im Bundestag hatte es zuletzt im Jahr 2020 eine Abstimmung gegeben mit dem Ziel, eine Widerspruchslösung einzuführen. Es fand sich dabei keine Mehrheit für eine entsprechende Gesetzesänderung, die Trennlinie zwischen Befürwortern und Gegnern einer Widerspruchslösung ging quer durch alle Fraktionen.
Umfragen in der Bevölkerung ergeben hingegen immer wieder klare Mehrheiten für eine Widerspruchslösung. Bei einer Umfrage, die der NDR in Norddeutschland organisiert hat, waren im vergangenen Jahr 71 Prozent für eine entsprechende Gesetzesänderung (externer Link). Eine Umfrage des MDR in seinem Sendegebiet hat eine Mehrheit von 66 Prozent ergeben (externer Link).
Auch in der abgelaufenen Wahlperiode hatte es einen Vorstoß zur Einführung einer Widerspruchslösung gegeben. Politikerinnen und Politiker von CDU, CSU, FDP, SPD, Grünen und Linken hatten einen gemeinsamen Gesetzentwurf erarbeitet. Er ist allerdings nicht mehr zu einer abschließenden Abstimmung gekommen, weil nach dem Ende der Ampel-Regierung ein neuer Bundestag gewählt wurde.