62 Jahre und immer noch macht Michael Jäger einen Knochenjob, heute in einer Tiefgarage in Augsburg, bei eisigen Temperaturen. „Im Sommer ist es mittlerweile brüllend heiß, im Winter kalt, das ist im Laufe der Jahre anstrengender geworden“, sagt er. Michael Jäger ist gelernter Maurermeister und das mit viel Engagement für die Arbeit.
Rente nach 45 Jahren schwerer körperlicher Arbeit
Doch nach 45 Jahren reicht es. Das soll die sogenannte „Rente mit 63“ möglich machen, konzipiert für Menschen mit schwerer körperlicher Arbeit. Doch das Problem: Viele seiner Kollegen schaffen gar keine 45 Jahre, weil die Arbeit sie irgendwann in die Knie treibt. Oder weil sie zerrissene Erwerbsbiografien haben.
„Früher im Bau im Allgäu, da wurden die Leute an Weihnachten entlassen und an Ostern wieder eingestellt“, berichtet Jäger, „das sind viele Monate, die dann fehlen.“ Zumal, wenn sich die Handwerker dann nicht arbeitslos gemeldet haben.
Wenig zielgenaue Maßnahme
Dass diejenigen, für die die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte gedacht war, gar nicht in dem Ausmaß profitieren, wie erwünscht, bestätigt auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, nach der weniger als ein Drittel der Rentner mit 63 während des Berufslebens im Durchschnitt sehr hoch belastet gewesen ist.
In der Gruppe derer, die nur 10 bis 30 Versicherungsjahre in der Rente sammeln konnten, war der Anteil der beruflich sehr hoch Belasteten mit rund 44 Prozent am höchsten. Enzo Weber vom Institut von Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt die Tendenz: „Die Voraussetzung für die Rente mit 63 erfüllen Menschen, die lange gearbeitet und gut verdient haben. Das sind nicht unbedingt die, die körperliche Belastungen hatten und es sind ganz überwiegend Männer.“ Sein Urteil: „Es ist am Ende eine nicht sehr zielgenaue Maßnahme.“
Mogelpackung „Rente mit 63“
Hinzu kommt, dass der Begriff „Rente mit 63“ inzwischen irreführend ist. Denn das Renteneintrittsalter wurde schrittweise hochgesetzt. „Der Begriff ist falsch und unfair. Schon heute kann niemand mehr mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen“, kritisiert Verena Bentele, Präsidentin VdK Deutschland und Landesvorsitzende VdK Bayern.
So ist es auch bei Martina Hartmann. Ihr Jahrgang 1960 darf inzwischen erst mit 64 Jahren und 4 Monaten in Rente gehen. Insgesamt hat sie 47 Jahre gearbeitet: Mit 16 Ausbildung zur EDV-Fachkraft, seitdem durchgängig gearbeitet, einen Sohn großgezogen. Jetzt wünscht sie sich mehr Zeit für die Familie.
Die Vorfreude ist groß und trotzdem ist da ein Rechtfertigungsdruck: „Man sagt zwar, ich habe einen Schreibtischjob, aber auch da werden die Anforderungen größer. Das ist anders als noch vor 20 Jahren. Es macht was aus, wenn man nach Hause kommt und man ist doch relativ erschöpft, muss ich sagen.“
Lösung Weiterbildung und mehr Einzahler
Die Rente mit 63 für besonders langjährige Versicherte ist ein nicht unumstrittenes Privileg. Denn in der Rentenkasse fehlt Geld. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sieht die Lösung in der Weiterbildung:
Wenn Menschen schwer gearbeitet haben, ist es gerechtfertigt, dass man ihnen eine frühere Rente geben möchte. Aber: Über die nächsten 15 Jahre verlieren wir sieben Millionen Arbeitskräfte in Folge der Alterung. Wir sollen also nicht auf Frühverrentung setzen, sondern darauf, Menschen weiterzuentwickeln in verwandte Bereiche, wo sie Ihre Stärken einsetzen können.
Rentenberaterin Claudia Plamann findet die Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren in Rente zu gehen, richtig und wichtig. Für sie müssen auf Dauer andere Lösungen gefunden werden: „Die Politiker sollten für mehr Einzahlungen sorgen, indem sie auch andere Personenkreise mit in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen.“ Etwa die Beamten.
Unternehmen in die Pflicht nehmen
Auch Verena Bentele vom VdK fordert, an der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren für besonders langjährig Versicherte festzuhalten: „Die Politik muss sich um die kümmern, die nicht bis zur Regelaltersgrenze durchhalten. Wer mit Abschlägen nach 35 Jahren in Rente gehen möchte, muss daher anders betrachtet werden als diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten können.“
Zudem sollten „Unternehmen in die Pflicht genommen werden, altersgerechte Arbeitsplätze und Aufgaben zu schaffen, damit ihre Belegschaft bis zur derzeitigen Regelaltersgrenze gesund und leistungsfähig bleiben kann“, so die VdK-Präsidentin.
Maurermeister Michael Jäger ist der Meinung: Für jeden sollte nach 45 Jahren Schluss sein – egal ob Geld in den Kassen ist oder Arbeitskräfte gesucht: „Wir können den Fachkräftemangel nicht dadurch ausgleichen, dass man die Menschen immer länger arbeiten lässt.“
Die 45 Beitragsjahre wird er im Herbst geschafft haben. Aber auch für ihn ist noch nicht Schluss: Sein Jahrgang kann erst mit 64 Jahren und acht Monaten in den Ruhestand gehen.