Sie sehen sich als „Hausarztpraxis der Sozialarbeit“: die Beratungsstellen der Kirchen. Jeder kann mit seinen Problemen kommen, mit Termin oder zu einer offenen Sprechstunde und wird gegebenenfalls an eine Fachstelle weitervermittelt. „Oft ist tatsächlich die Existenz bedroht“, sagt Sozialpädagogin Eva Häringer, „dass jemanden die Wohnungslosigkeit droht, oder die Arbeitslosigkeit – vielleicht spielt noch die Gesundheit mit rein.“
Oft ist es eine Vielzahl an Problemen, mit denen die Menschen in die Caritas-Beratungsstelle im Münchner Süden kommen. Bei Eva Häringer sitzt heute eine alleinerziehende Mutter im Büro, die gerne wieder ins Berufsleben einsteigen würde. Sie kann sich auf Deutsch verständigen, doch der mehrseitige Antrag des Jobcenters mit seinen Fachbegriffen macht ihr Schwierigkeiten. Eva Häringer hilft ihr eine halbe Stunde lang beim Ausfüllen, sie ist die einzige Beraterin hier.
Immer mehr Menschen sind von Wohnungslosigkeit bedroht
Sechs solcher Termine stehen heute an, dazu kommen spontane Anfragen – etwa von Menschen, die zur Essensausgabe der Tafel kommen, die vor der Allgemeinen Sozialberatungsstelle stattfindet. Weil immer mehr Anfragen kommen, hat die Beraterin inzwischen eine Warteliste eingeführt – früher war das nicht notwendig.
Auch bei der Diakonie steigt die Nachfrage nach Sozialberatung: Der evangelische Verband verzeichnet bayernweit gerade fast doppelt so viele Beratungsgespräche wie früher. Ein Grund sei die steigende Armut, sagt Sabine Weingärtner, Präsidentin der Diakonie Bayern. „Bei der Wohnungslosigkeit sind die Zahlen in den letzten Jahren rapide gestiegen“, sagt Weingärtner, die von mehr als 55.000 Wohnungslosen im Freistaat ausgeht.
„Inzwischen sind nicht mehr nur die armen Menschen betroffen“, sagt Ute Bernauer, Referentin für Armut bei der Caritas im Erzbistum München und Freising, „sondern auch die Mittelschicht – durch steigende Mieten und höhere Energiekosten. Da ist die Caritas oft die erste und einzige Anlaufstelle“.
Caritas fordert finanzielle Beteiligung vom Staat
Viele Besucher kommen aber auch, weil sie bei anderen Beratungsstellen nicht weiterkommen. „Ein Fünftel der Leute werden von staatlichen Behörden an uns verwiesen“, sagt Tobias Utters vom bayerischen Landesverband der Caritas, „beispielsweise Leute aus dem Jobcenter, die Probleme beim Ausfüllen ihres Antrags haben. Da verweisen die Behörden an uns, obwohl sie eigentlich einen gesetzlichen Auftrag hätten, genau diese Leute zu unterstützen.“
Die Allgemeine Sozialberatung wird überwiegend von den Kirchen finanziert. Mit Blick auf die sinkenden Kirchensteuereinnahmen fordert die Caritas jetzt eine gesetzliche Regelung, die den Staat verpflichtet, einen Teil der Beratung mitzufinanzieren – so wie bei anderen Angeboten, etwa der Schuldnerberatung. Auf BR-Anfrage schreibt das Bundessozialministerium hierzu: „Über dieses Beratungsangebot entscheiden die Sozialverbände in eigener Zuständigkeit. Dies spricht gegen eine bundesgesetzliche Verankerung der Finanzierung von Sozialberatung.“

