Es geht um einen dreistelligen Milliardenbetrag, der jedes Jahr in der deutschen Wirtschaft eingespart werden könnte, wenn man die Zeit aller Mitarbeiter in Besprechungen halbiert. Denn Meetings sind häufig weder nötig – zumindest nicht für alle Teilnehmenden – noch besonders effizient in ihrem Ablauf oder gar zielführend.
Ökonomen haben berechnet, dass das Streichen eines Feiertags zu einem Wirtschaftszuwachs von acht bis elf Milliarden Euro führen könnte. Spart sich hingegen jeder Arbeitnehmer in Deutschland einen Tag pro Monat in Meetings und arbeitet stattdessen konzentriert an seinen Aufgaben, könnten wir jährlich sogar bis zu 132 Milliarden Euro gewinnen. Das entspricht in etwa drei Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes.
19 Stunden Videocall pro Monat
Wie aber soll das gelingen, weniger Zeit in Meetings zu verbringen? Schließlich hat die Zeit in Besprechungen in den vergangenen Jahren erheblich zugelegt – allein schon, weil es seit der Corona-Pandemie viel einfacher ist, sich per Videocall zusammenzuschalten. Aus gut 16 Stunden in Meetings vor Corona wurden so rund 19 Stunden jeden Monat.
Volker Busch, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Regensburg, spricht im BR24-Interview von einer „Inflationierung“, weil Videocalls leicht verfügbar und preisgünstig seien. Ähnliches sei vor Jahren bei der Einführung von E-Mails passiert. Deren Nutzung sei im Einzelnen zwar durchaus effizient, in der Summe aber dann nicht mehr effektiv.
Weniger und effizientere Meetings abhalten
Zwei Ansätze schlägt Busch vor, um sinnlos vertane Zeit in Besprechungen zu minimieren: Weniger Meetings ansetzten und die, die bleiben, kürzer und effizienter abzuhalten. Chefs sollten sich beispielsweise genau überlegen, welche Informationen wichtig genug sind, damit sie bei einem Treffen vermittelt werden müssten. Allein dadurch ließe sich rund ein Drittel aller Besprechungen vermeiden. Wenn sie aber notwendig seien, dann sollten sie gut strukturiert sein, anhand einer Agenda ablaufen und nicht länger als 15 bis 20 Minuten dauern. Anschließend könnten die Mitarbeitenden wieder „raus ins echte Leben“.
Der Besprechung ein Preisschild geben
Busch lobt einen „Trick“, den das Softwareunternehmen SAP eingeführt hat. Dort hat jedes Meeting ein Preisschild. Wer eine Besprechung einberuft, ist dazu angehalten, sich zu überlegen, was ihm das Treffen wert ist. Schließlich summieren sich hier teure Arbeitsstunden aller Beteiligten.
Bei Amazon begrenzt man die Zahl der Teilnehmer beispielsweise durch die „Zwei-Pizza-Regel“. Nur so viele Menschen dürfen teilnehmen, wie durch diese satt werden – in etwa acht Personen.
Sinnvoll sei es auch, nur bestimmte Zeiten für Meetings zuzulassen, beispielsweise am Nachmittag. Die restlichen Stunden des Arbeitstages könnten dann effizienter genutzt werden, weil sie ohne Besprechungs-Unterbrechung ablaufen. Manche Firmen haben sogar mit ganzen meetingfreien Tagen experimentiert.
Die Krux mit den Videocalls
Ganz spezielle Herausforderungen bringen Videocalls mit sich. Für viele Menschen seien sie gefühlt anstrengender als Treffen in der echten Welt oder auch ein Telefonat, so Busch. Das liege vermutlich – genau erforscht sei das aber noch nicht – am ständigen Blick in die Kamera und dem Stress, den immer wieder auftauchende technische Probleme auslösten.
Auch die Qualität der Begegnungen sei eine andere als bei Präsenz-Treffen, so Busch. Sehe man sich in echt, stelle man sich aufeinander ein, die Nervenzellen „fangen an, sich aufeinander einzugrooven“. Diese Synchronisierung bleibe, so eine Forschungsarbeit aus Frankreich, beim Videocall völlig aus.
Hinzu komme, dass Video-Treffen so leicht verfügbar sind, dass sie häufig eingesetzt werden und dabei andere Tätigkeiten unterbrechen. Busch zufolge zeigen Messungen, dass ein Mensch, der fokussiert und ohne Unterbrechung, arbeiten kann, „20 bis 25 Prozent intelligentere Leistungen aufs Papier oder den Schreibtisch“ bringt.