Telefonanlagen, Halbleiter, Kraftwerke: In seiner langen Geschichte hat sich der Münchener Technologiekonzern Siemens schon von vielen Sparten getrennt und dafür im Gegenzug neue Geschäfte aufgebaut. Jetzt ist die Medizintechnik an der Reihe.
Siemens reduziert seine Beteiligung an Siemens Healthineers in Erlangen. Der Rückzug kommt nicht überraschend. Siemens hält derzeit noch gut zwei Drittel der Healthineers-Anteile. 30 Prozent davon will der Konzern nun abgeben. Diese Aktien im Wert von 15 Milliarden Euro sollen die Aktionäre der Siemens AG in ihre Depots gebucht bekommen. Die Details sind noch offen.
Immer wieder hatten Analysten kritisiert, die Beteiligung an Healthineers binde zu viel Kapital und passe nicht mehr zu der Strategie eines Digital- und Softwarekonzerns. Deshalb wird der schrittweise Rückzug bei Investoren und Fondsmanagern überwiegend positiv kommentiert.
Investoren sehen Veräußerung von Healthineers-Anteilen positiv
Die Dekonsolidierung sei ein folgerichtiger und notwendiger Schritt einer langfristigen Strategie, erklärt Ingo Speich von Deka Investment gegenüber BR24. Siemens werde weiter entflochten und die Komplexität werde reduziert. „Der Spinoff ist als aktionärsfreundlich zu werten“, sagte Speich. Der Fokus muss seiner Meinung nach auf einer „profitablen Wachstumsstrategie der beiden Kerngeschäftsfelder Smart Infrastructure und Digital Industries liegen“.
Im letzten Schritt wäre Healthineers eine reine Finanzbeteiligung und würde nicht mehr in der Konzernbilanz ausgewiesen. Erklärtes Ziel ist, mehr finanziellen Spielraum zu bekommen für weitere Zukäufe, allen voran im Softwarebereich.
Siemens: Healthineers- anders als Energy-Abspaltung
Die eingeleitete Trennung von Siemens Healthineers sei nicht mit der Abspaltung von Siemens Energy zu vergleichen, hieß es bei der Bilanzpressekonferenz in München. Allerdings wird einmal mehr klar, dass Siemens – die „One Tech Company“ – nichts mehr zu tun hat mit dem Traditionskonzern, der einst Telefone, Haushaltsgeräte und Elektromotoren baute. Das Schlagwort „One Tech“ steht dafür, dass Entwicklung und Vertrieb nun stärker über die Bereichsgrenzen hinweg integriert und gestrafft werden sollen.
Trennung von Healthineers: Gewerkschaft und Kapitalanleger tragen Entscheidung mit
Selbst Jürgen Kerner, 2. Vorsitzender der IG Metall, trägt dieses Konzept mit, „weil es aus heutiger Sicht langfristig die besten Aussichten für Siemens bietet“. Healthineers passe technologisch auf Dauer nicht wirklich zu den Kernbereichen.
Auch Markus Kienle von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) begrüßt die Fokussierung des Portfolios, weil es nun Klarheit gebe. In einer Stellungnahme gegenüber BR24 betont er, die technologieoffene Strategie sei richtig. Risiken seien allerdings, dass branchen- und segmentbezogenes Spezialwissen durch die weitere Fokussierung verlorengehen könnte. „Um sinnvolle Software-, Digital- und KI-Lösungen und -Produkte zu entwickeln, ist ein Verständnis von und für die Branche, in der diese Technologien eingesetzt werden sollen, sicherlich kein Nachteil“, sagt Kienle.
Siemens-Strategie: Konzentration auf drei Säulen für schnelleres Wachstum
Im Kerngeschäft mit Software und Automatisierung will Siemens noch schneller wachsen. Der Konzern beschäftigt inzwischen weltweit 30.000 Softwareingenieure – bei insgesamt 318.000 Beschäftigten. Das Schlagwort „One data fabric“ beschreibt das Ziel, alle entsprechenden Systeme sowohl konzernintern als auch bei Kunden aus der Industrie zu vereinheitlichen und zusammenzuführen. Mit dabei sind zum Beispiel die Maschinenbauer Voith und Trumpf.
Die zweite Säule Gebäude- und Infrastrukturtechnik hat die ehrgeizigen Renditeziele wieder mehr als erfüllt und dazu beigetragen, dass Siemens im abgelaufenen Geschäftsjahr so viel verdient hat wie noch nie. Allerdings profitierte der Konzern dabei auch von milliardenschweren Sondereffekten wie dem Verkauf von Innomotics. Der dritte Bereich Mobility kann mit den beiden anderen Kernbereichen zwar nicht Schritt halten, wird aber immer noch als Teil des Konzerns gesehen, weil die Digitalisierung bei der Zug- und Schienentechnik eine wichtige Rolle spielt.
Siemens feiert sein Ergebnis – Großinvestitionen in KI
Siemens sei jetzt „stärker denn je“, wie es Konzernchef Roland Busch formuliert. Der CEO sieht den Technologiekonzern in einer Führungsrolle, um „die reale mit der digitalen Welt zu verbinden“. Der Vorstand sucht für die Software- und Digitalgeschäfte nach internationalen Partnern, wie Nvidia und dem US-Cloud-Anbieter AWS.
Zusammen mit dem französischen IT-Dienstleister Capgemini wollen die Münchener KI-gestützte digitale Lösungen für die Fertigung in Schlüsselbranchen entwickeln – zum Beispiel für Luftfahrt-, Halbleiter- und Pharmaindustrie – und dafür Milliarden investieren. Weltweit beschäftigt Siemens bereits 1.500 KI-Expertinnen und Experten und es dürften sicher noch mehr werden. Ein neues Team arbeitet bereits von Seattle aus.

